Die Jahre bis zum Ersten Weltkrieg waren politisch vor allem vom Kampf um das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht bestimmt. Die Schüsse von Sarajewo am 28. Juni 1914 dämpfen die sozialistische Vision vom friedlichen Zusammenleben der Völker vorläufig. Es folgt ein grausamer Krieg, der 17 Millionen Menschenleben fordert. Gegen die Kriegsbegeisterung der ersten Jahre setzt sich der Friedenswille – auch in der Sozialdemokratie – erst langsam durch.
Victor Adler gilt bis heute als wichtigste Integrationsfigur der Einigung reformistischer und revolutionärer Kräfte in der k. u. k. Monarchie. Besonderes Aufsehen erregte Adler, als er unter dem Titel „Die Lage der Ziegelarbeiter“ in seinen Enthüllungsreportagen die Missstände anprangerte, die rund um die Wienerberger Ziegelfabrik herrschten. Die Arbeits- und Wohnverhältnisse spotteten jeder Beschreibung: Eng zusammengepfercht mussten Frauen, Männer und Kinder in hygienisch unerträglichen Verhältnissen leben. Eine Privat- und Intimsphäre existierte nicht. Durch die Artikel Victor Adlers wurden diese verheerenden Zustände erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. 1911 kam es ob der zugespitzen sozialen Lage der Jugend in Wien auch zur sogenannten Ottakringer Jugendrevolte.
Im Frühling des Jahres 1874, am 5. / 6. April, kam es im burgenländischen Neudörfl (Bezirk Mattersburg) zum ursprünglichen Gründungstag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Österreichs). Interne Streitigkeiten zwischen dem politisch gemäßigten Flügel um Heinrich Oberwinder und den Radikalen um Andreas Scheu lähmten die Entwicklung der Partei allerdings, erst 1888 konnte Victor Adler die Richtungsstreitigkeiten beenden.
Mit dem Hainfelder Programm gab sich die Partei auf der Basis von Arbeiterbildungsvereinen und gewerkschaftlichen Fachvereinen einen gemäßigten Kurs, bei dem Karl Marxens Kommunistisches Manifest nicht als Richtlinie, sondern als Zukunftsvision präsent war. Die eigentliche Leitung der Partei lag in der Folge bei der soeben gegründeten Arbeiter-Zeitung. Erst im Jahr 1892 legte der Parteitag eine neunköpfige Parteivertretung fest, der eine Kontrollkommission zugestellt wurde.
Der Austromarxismus
Um die Jahrhundertwende entstand unter diesen Voraussetzungen die Programmatik des Austromarxismus, der bis heute eine besondere Spielart der marxistischen Theorie umschreibt, die zwar an der grundlegenden Kapitalismuskritik von Karl Marx im Wesentlichen festhält, aber die Zielvorstellung einer sozialistischen Gesellschaft auf parlamentarischem Weg und im Sinne eines integralen Sozialismus („Dritter Weg“) erreichen will. Dieser Aspekt bestimmt bis heute die praktische Ausrichtung der Sozialdemokratie zwischen Reformismus und Revolution. Dabei ist auch zu betonen, dass sich die Freiheit des individuellen Denkens als Erbe der Aufklärung– etwa mit den Ansätzen Otto Bauers – sehr früh einem übertriebenen Kollektivismus entgegenstellte.
Kampf um das Wahlrecht
In der Monarchie herrschte noch immer ein Kurienwahlrecht. So konnten etwa bei den Wiener Gemeinderatswahlen 1900 erstmals Sozialdemokraten antreten; sie erhielten über 56.000 Stimmen, aber nur zwei Mandate (Christlich-Soziale: 77.000 Stimmen/18 Mandate). 1905 kommt es zu einem 24-stündigen Generalstreik; 250.000 Arbeiter demonstrieren vor dem Parlament fünf Stunden für das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht. 1907 gibt es dann die ersten allgemeinen Wahlen – allerdings nur für Männer. Von 516 Sitzen erhalten die Sozialdemokraten als zweitstärkste Fraktion 87. Beim ersten „Frauentag“ in Wien am 19. März 1911 fordern die Frauen mit Nachdruck die politische Gleichberechtigung.
Erster Weltkrieg
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges erstickte die (sozial)demokratischen Ansätze, Karl Kraus nennt die kommenden Jahre die „letzten Tage der Menschheit“. Der allgemeinen Kriegsbegeisterung zu Beginn konnte die Sozialistische Internationale wenig entgegenghalten, auch die sozialdemokratischen Bewegungen in den verfeindeten europäischen Staaten erlagen der nationalistischen Stimmung. Auf die dem Kriegsausbruch politisch folgende „Kriegsdiktatur“ im Inneren, die nicht nur die verfassungsmäßigen Grundrechte aufhob (z.B. Presse- und Versammlungsfreiheit), sondern auch die Repressions- und Sanktionsmittel erheblich verschärfte, erwies sich die Sozialdemokratie nicht gut vorbereitet. Im Verlauf des Krieges wurde vor allem die Nahrungsmittelknappheit zu einer Überlebensfrage der Donaumonarchie.
Streiks und die Niederlage der Habsburger-Monarchie
Mit dem Wiener Metallarbeiterstreik vom Mai 1917, dem Jännerstreik 1918 und dem Streik vom Juni 1918 überzog eine wahre Streikwelle das Land. Die Sozialdemokratie trat als Verhandlungsführer gegenüber der Regierung auf, geriet aber auch unter den Druck der Linksradikalen. Diese wollten sich bei ihren Forderungen nach sofortigem Kriegsende, der Aufhebung der Militarisierung der Betriebe, der Demokratisierung des Gemeindewahlrechts und Ähnlichem nicht mit „Good-Willl“-Erklärungen der Regierung zufrieden geben. Der Sozialdemokratie gelang es aber erfolgreich, das neu gebildete System der Arbeiterräte zu integrieren und eine Spaltung der Arbeiterbewegung, wie sie in Deutschland bereits stattgefunden hatte, zu verhindern.
Der Zerfall und Zusammenbruch der Donaumonarchie resultierte aus der militärischen Niederlage des Habsburgerreichs und seiner Verbündeten sowie aus den nationalen Unabhängigkeitsbewegungen. Ende Oktober 1918 war die Monarchie in Österreich endgültig Geschichte.