Arbeiter-Zeitung

Die Arbeiter-Zeitung wurde 1889 von Victor Adler als sozialistisches Zentralorgan gegründet, hatte Einfluss in ganz Europa und war nach 1945 Wegbegleiterin des österreichischen Wiederaufbaus.

Die zweite Republik ist erst wenige Monate alt, die provisorische Regierung noch im Amt, da werden von den alliierten Befreiern Österreichs auch die einstigen Zeitungen der politischen Parteien wieder zugelassen. Am 5. August erscheint neben dem „Kleinen Volksblatt“ der ÖVP und der kommunistischen „Volksstimme“ auch die legendäre „Arbeiter-Zeitung“ unter der Leitung ihres Chefredakteurs Oscar Pollak wieder. Die Arbeiter-Zeitung, 1889 gegründet, ab 1934 in der Illegalität, war ein gutes Jahrzehnt nach ihrem Verbot für 100.000 Österreicher wichtiges Symbol für die wieder erlangte Freiheit. Im folgenden Jahrzehnt war sie nicht nur Chronist des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus – sie wurde „die Zeitung, die sich was traut“.

Junge Reporter wie Franz Kreuzer, Friedrich Katscher oder Alois Brunnthaler berichteten vom schwierigen Alltag der Nachkriegsjahre. Sie prangten die Übergriffe der „Unbekannten“ im Nachkriegs-Wien an, der sowjetischen Besatzer. Sie arbeiteten unter Anleitung routinierter Redakteure wie Alois Piperger, Jacques Hannak, Friedrich Scheu oder Josef Sterk. Die Leitartikel von Chefredakteur Pollak haben nicht nur Wortgewalt, sondern reale politische Macht. Die Arbeiter-Zeitung begleitet das kommende Jahrzehnt als eine der meist gelesenen österreichischen Zeitungen.
Im Feuilleton der Arbeiter-Zeitung, einer der bekanntesten Autoren dieses Genres war Richard Kurfürst unter dem Pseudonym „West“, erhielten viele später berühmte Journalisten und Autoren ihre erste Publikationsmöglichkeit: Unter ihnen auch der spätere Romanautor Johannes Mario Simmel.

Parteizeitungen in der Krise

Ein Jahrzehnt lang hatte die Arbeiter-Zeitung wie alle großen Medien über die vielen Details, Irrungen und Umwege zur Erlangung der vollen österreichischen Souveränität berichtet, ehe am 15. Mai 1955 der Staatsvertrag unterzeichnet wurde. Just nach diesem für das Land so wichtigen Akt geriet einer der verlässlichsten Chronisten, eben die Arbeiter-Zeitung, erstmals in eine Krise. Die oft unterhaltsamere Boulevardpresse erreichte rasch höhere Auflagen als die Parteipresse aller Couleurs.

AZ-Cover zum Staatsvertrag (Foto: VGA)

1961 kommt es in der Arbeiter-Zeitung zu einem Wechsel an der Spitze. Franz Kreuzer soll als neuer Chefredakteur das einigermaßen verstaubt wirkende Blatt in Form und Inhalt renovieren. Sichtbarstes äußeres Zeichen ist die Veränderung des Titelkopfes. Aus der Arbeiter-Zeitung in Frakturschrift wird systematisch die AZ. Neue Blatt-Teile wurden eingeführt, zahlreiche junge Redakteure mit der Blatt-Umgestaltung betraut: Herbert Löwy, in den siebziger Jahren als Kolumnist „Gluthammer“ und Chef vom Dienst einer der großen Vollblut-Zeitungsmacher des Landes, und Josef Riedler. Erich Sokol wurde als Karikaturist der AZ rasch einer der Zeichner-Stars in Österreich, und Kurt Kahl gestaltete mit Eva Lorenz eine neue Sonntags-Beilage des Blattes. Als 1963 John F. Kennedy in Dallas ermordet wurde, war – eher zufällig – als einziger österreichischer Journalist der AZ-Redakteur Otto Fielhauer Augenzeuge vor Ort. Walter Henisch ist in diesen Jahren der Fotoreporter der AZ. Sein älterer Sohn, der Schriftsteller Peter Henisch, verdient sich ebenfalls seine ersten Sporen als Autor in der AZ.

Der Aufstieg Bruno Kreiskys

Umbrüche kündigen sich auch in den Parteien Österreichs an. Jüngere Sozialisten, unter ihnen Heinz Fischer, Josef Staribacher, Karl Blecha und AZ-Chefredakteur Kreuzer legten Reformpapiere vor und traten für mehr innerparteiliche Diskussion ein. Bruno Kreisky übernahm schließlich im Februar 1967 den Vorsitz der SPÖ. Der neue Parteichef wünscht sich aber auch einen neuen Chefredakteur für das Zentralorgan: Paul Blau, davor Chefredakteur der Monatszeitschrift „Wirtschaft und Arbeit“, folgt auf Franz Kreuzer, der nach zwei Jahrzehnten die AZ verlässt und von Gerd Bacher prompt in den ORF geholt wird.

Die Wahlen am 1. März 1970 bringen der SPÖ die relative Stimmenmehrheit und 81 Mandate, Kreisky wird Bundeskanzler. Besonders aufmerksam begeleitet und kommentiert worden war der Wahlkampf vom neuen politischen Ressortleiter der AZ Manfred Scheuch und von Politik-Redakteur Günter Traxler. („Mehr als 50 %“ – Die AZ über Kreiskys Wahlsieg 1971).

Ausgerechnet die für die Sozialdemokratie so erfolgreichen siebziger Jahre hatten ihrem Zentralorgan AZ nur wenig Erfolg gebracht. Trotz immer noch recht beachtlicher Reichweiten bei den Lesern verlor sie gleichmäßig und weiterhin Marktanteile. Ende der siebziger Jahre wurde die AZ deswegen in neue Eigentümerstruktur – aber weiter in Parteibesitz – übergeführt und Albrecht K. Konecny als Herausgeber des Blattes berufen.

Viele neue Gesichter in den 80ern

In der AZ ist ein größerer Umbau- und Verjüngungs-Prozess ab Anfang der achtziger Jahre im Gange. Neue Politikredakteure und Kommentatoren wie Herbert Lackner, Peter Pelinka, Ilse Brandner-Radinger, Georg Hoffmann-Ostenhof, Andy Kaltenbrunner, Robert Wiesner kommen zum Blatt. In Wirtschafts-, Chronik-, Kultur- und Sportressort reüssieren junge Journalisten in Kooperation mit den Routiniers: Tessa Prager, Otto Ranftl, Eva Gogala, Eva Kutschera (alle Chronik), Heinz Sichrovsky, Christoph Hirschmann (Kultur), Eva Pfisterer, Helmut Dité, Ursula Haslauer (Wirtschaft), Dieter Chmelar (Sport). In einem weiteren Schub Mitte der achtziger Jahre folgen junge Mitarbeiter, die ebenfalls rasch Karriere machen, wie Fritz Dittlbacher, Günter Kaindlstorfer, Walter Pohl, Gerhard Plott, Astrid Zimmermann, Robert Misik, Roman Freihsl, Christian Nusser, Klaus Kamolz, Ruth Rybarski, Josef Kalina und viele mehr. Koordiniert wird die Zeitung seit dem Tod Herbert Löwys im Jahr 1983 vom umtriebigen Chef vom Dienst Peter Bylica.

Die AZ übernimmt zugleich die Herausgabe von „Salzburger Tagblatt“ (1984) und „Oberösterreichisches Tagblatt“ (1987) als regionale Mutationen. Der Auflagen- und Leserschwund wird gestoppt, die Zeitung ab 1985 im Kleinformat herausgegeben. Vorwärts-Verlag und Redaktion waren aus dem Traditionsgebäude an der Wienzeile in die Viehmarktgasse übersiedelt. Mit etwa 70.000 täglich verkauften Exemplaren liegt sie jeweils knapp vor Konkurrenten wie der „Presse“ und in der Reichweiten-Rangliste von Österreichs Tageszeitungen an vierter Stelle. Ökonomisch aber – es fehlen relevante Anzeigeneinnahmen – bleibt die Zeitung in ständiger Schräglage.

Hainburg und Waldheim

Die AZ schreibt Verluste, und vor allem im Streit um den Kraftwerksbau in Hainburg wird das Dilemma der unmittelbar abhängigen Parteipresse deutlich. Während zahlreiche Redakteure ganz gegen die offizielle SPÖ-Linie große Sympathie mit den Besetzern der Au haben und versuchen, die Berichterstattung ausgewogen zu gestalten, bleibt die politische Kommentierung eindeutig und rechtfertigt auch die gewaltsame Räumung durch die Polizei zu Jahresende 1984.
Vor allem in der politisch besonders emotionalisierenden Diskussion um die Präsidentschaftskandidatur von Kurt Waldheim (und dessen Wahl am 9. Juni 1986) wirkt die AZ aber wiederum durch klare Positionierungen unverzichtbar. Neben anderen Waldheim-kritischen Medien, allen voran „profil“, ist die Parteizeitung klar positioniert und publizistisch besonders engagiert. Systematisch steigen entgegen dem langjährigen Trend die Auflagen. Fotografisch wird diese Phase von Reportern wie Rudolf Semotan und Rudolf Bartel begleitet.

Franz Vranitzky wird Bundeskanzler, Robert Hochner Chefredakteur

1986 übernimmt Franz Vranitzky, davor Finanzminister, die Funktion des Bundeskanzlers und 1988 auch den Parteivorsitz von Fred Sinowatz. Vom Bruch mit dem Regierungspartner FPÖ, unmittelbar nach dem Innsbrucker FPÖ-Parteitag, der Jörg Haider im September 1986 an die Spitze der Freiheitlichen spülte, wird naturgemäß in der AZ besonders umfassend berichtet. Die Zeitung kommt jedoch ökonomisch nicht auf die Überholspur. SPÖ-Vorsitzender Franz Vranitzky kündigt bereits Ende 1988 Verkaufabsichten an, im Herbst 1989 geht das Blatt an die Birko-Holding des Werbe-Unternehmers und Illustrierten-Verlegers („Wiener“) Hans Schmid, der den Fernsehmoderator Robert Hochner als Chefredakteur und viele neue Redakteure verpflichtet, aber ein Jahr danach das weiter defizitäre Blatt schließlich nicht mehr finanzieren will.

Cover vom 31.10.1991, letzte Ausgabe der Arbeiter-Zeitung

Das Ende der Arbeiter-Zeitung: „Adieu“ am 31. Oktober 1991

Das große Engagement von Redaktion, Lesern und einigen größeren finanziellen Unterstützern verlängert den Überlebenskampf der AZ unter der Leitung von Peter Pelinka als letztem Chefredakteur – aber am 31. Oktober 1991 muss das Traditionsblatt, das in den letzten Jahren zwar noch ein modernes, linksliberales Image gewinnen und hunderttausende Leser halten konnte, schließlich doch sein Erscheinen einstellen.

Mit www.arbeiter-zeitung.at wird ab März 2004 ein erstes großes Stück dieser österreichischen Zeit- und Zeitungsgeschichte, die AZ-Jahrgänge 1945 bis Ende März 1989, im Internet offen zugänglich gemacht – als bis dahin weltweit größtes Tageszeitungsarchiv des 20. Jahrhunderts im Web. 115 Jahre nach ihrer Gründung und mehr als ein Jahrzehnt nach ihrer Einstellung schreibt die Arbeiter-Zeitung noch einmal Geschichte.

Auf www.arbeiter-zeitung.at sind erstmals mehr als vier Jahrzehnte einer Tageszeitung aus dem 20. Jahrhundert – alle Ausgaben von 1945 bis 1989 – in einem Web-Archiv offen zugänglich gemacht worden. Mit freiem Eintritt für alle an Zeit- und Zeitungsgeschichte interessierten User. Die Jahrgänge 1891 bis 1937 sind in ANNO zugänglich.

Arbeiter-Zeitung (Alter Zeitungskopf)
Arbeiter-Zeitung (Alter Zeitungskopf)