Der Präsident des Bundes der Sozialistischen Akademiker (BSA), Andreas Mailath-Pokorny, beschreibt die Rolle des BSA in der Sozialdemokratie folgendermaßen:„Die österreichische Sozialdemokratie braucht den Input der AkademikerInnen und Kulturschaffenden. Dass der BSA diesen Input liefert, war nicht immer so selbstverständlich und unumstritten wie heute. Gerade zu Beginn wurde seine Rolle, ja, die Notwendigkeit einer Organisation für sozialistische AkademikerInnen überhaupt, häufig und vehement in Frage gestellt. Seinen Platz in der sozialdemokratischen Familie hat der BSA den zahlreichen Männern und Frauen zu verdanken, die in und mit ihm wichtige Impulse für die Gestaltung und Umsetzung des politischen Programms der SPÖ gegeben haben.“
„Doch dürfen wir uns nicht darauf ausruhen – die Frage nach dem Beitrag und der Legitimation des BSA ist eine, die wir stets aufs Neue mit unserem Engagement und unseren Ideen für eine gerechtere, solidarische Gesellschaft beantworten müssen.“
Gerade heute, wenn universitätspolitische Fragen wieder ins Zentrum des öffentlichen Interesses rücken und die Symbolfrage der Studiengebühren für Diskussionen sorgt, aber auch andere, dringend zu diskutierende Probleme, wie die soziale Absicherung von Studierenden endlich thematisiert werden, schließt sich der Kreis zu den Anfängen des BSA.
Die Vorläufer
1889 wurde ein „Österreichischer Studentenverein“ gegründet, der sich die Bekämpfung nationaler und konfessioneller Streitigkeiten zum Ziele setzte. Den Polizeiberichten zufolge stand dieser Verein mit der Wiener Sozialdemokratie in Verbindung. Was ihn selbstverständlich suspekt machte. Daher vermag es nicht wirklich zu verwundern, dass dieser Verein polizeilich aufgelöst wurde.
Doch der Einigungsparteitag von Hainfeld der Sozialdemokratie hatte auch für den politisch dem Neuen aufgeschlossenen Bildungsbürger neue Perspektiven gegeben. Ein paar Studenten und junge Akademiker schlossen sich zu einem Verein zusammen, der sich unschuldig als „Lese- und Diskutierklub Veritas“ gab. Mit dabei waren etwa der spätere Abgeordnete zum Nationalrat Karl Leuthner, der Illustrator der „Glühlichter“, Fritz Kaskeline, der Schriftsteller Willy Handl oder der spätere Verfasser der fünfbändigen „Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie“, Ludwig Brügel.
Die Zeit war reif für eine „strengere“ Organisationsform -die „Freie Vereinigung sozialistischer Studenten“, deren Obmann Max Adler, dessen weiterer Werdegang ihm den Ehrentitel eines Philosophen des Austromarxismus einbrachte, wurde. Die „Freie Vereinigung“ verstand sich vor allem als eine Studiengemeinschaft, in deren Mittelpunkt Theorie und Praxis des Marxismus, auch der austromarxistischen Schule stand.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges erschwerte die weitere Arbeit grundlegend. 1916 war ein großer Teil der Vereinsmitglieder beim Militär, manche schon tot. Es waren die Studentinnen, die das Vereinsleben nun bestimmten, die an der Spitze einer Frauendemonstration für den Frieden im Mai 1917 über den Ring zogen und die großen Anteil an der Durchführung des Jännerstreiks 1918 hatten. Anfang Mai 1918 wurde die „Freie Vereinigung“ von der Polizei aufgelöst. Im November 1918 erstand die „Freie Vereinigung“ wieder und spaltete sich. Ein Teil der Mitglieder wechselte ins Lager der eben gegründeten Kommunistischen Partei, die bei der Sozialdemokratie Verbliebenen gründeten die „Sozialdemokratische Studenten- und Akademikervereinigung.“
Nicht nur in Wien schlossen sich der Sozialdemokratie nahestehende Akademiker zusammen. 1919 wurde in Linz die „Sozialistische Vereinigung geistiger Arbeiter“, abgekürzt „SOVEGA“, gegründet. Federführend war dabei der Gymnasialprofessor Dr. Ernst Koref, 1924 bis 1934 Bildungsvorsitzender der oberösterreichischen Landespartei. Die SOVEGA entfaltete ein intensives Vereinsleben und betreute etwa auch die „Sozialistische Schülerhilfe“ in Linz.
In der Ersten Republik wurden auch mehrere sozialdemokratische Standesvertretungen von AkademikerInnen gegründet, Vorläufer einzelner Fachverbände des BSA. 1921 bildete sich der „Fachverein sozialistischer Techniker“, der bereits Vorläufer in der Monarchie hatte. 1897 wurde der „Verein der technischen Beamten“ gegründet, der sich 1900 auflöste. 1906 entstand der „Verband der technischen Beamten“, der sich 1907 mit dem „Allgemeinen Technikerverein“ zum „Bund der technischen Beamten“ vereinigte. Dies war auch eine der Wurzeln vom ,,Bund der Industrieangestellten“, der großen Angestelltengewerkschaft der Ersten Republik.
1923 wurde die „Vereinigung sozialistischer Mittelschullehrer“ gegründet, die bald zu einer der aktivsten Akademikergruppierungen gehörte. Ebenfalls 1923 entstand die „Vereinigung sozialdemokratischer Tierärzte Österreichs“. Im selben Jahr die „Vereinigung sozialdemokratischer Rechtsanwälte“, die sich vor allem mit der Strafrechtsreform befasste.
1924 entstand die „Vereinigung sozialdemokratischer Ärzte Wiens“. Sie hatte 1927 800 Mitglieder und erreichte bei den Ärztekammerwahlen rund ein Fünftel der Mandate. Die sozialdemokratischen Ärzte Wiens besorgten den ärztlichen Dienst beim Schutzbund und beim Arbeiter-Samariterbund. 1932 wurde dann die „Reichsorganisation der sozialdemokratischen Ärzte Österreichs“ ins Leben gerufen, die – außer in Vorarlberg – in allen Bundesländern vertreten war.
1928 wurde die „Vereinigung sozialdemokratischer Juristen“ nach Vorarbeiten von Karl Renner und Arnold Eisler gegründet. Ziel der Juristenvereinigung in der Zwischenkriegszeit war vor allem die Organisation juristischer Facharbeit innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung gewesen. 1932 hatte sie rund 500 Mitglieder.
1929 wurde der „Arbeitskreis sozialistischer Pädagogen“ gegründet, ihm gehörten Lehrer und Erzieher an. Seine Aufgabe bestand in der Vermittlung sozialistisch-pädagogischen Wissens und der Beschäftigung mit Fragen sozialistischer Erziehung. Bei ihm arbeitete auch die „Vereinigung sozialistischer Hochschullehrer“ mit.
Im künstlerischen Bereich war vor allem die „Vereinigung sozialistischer Schriftsteller“ wichtig. Maßgeblichen Anteil an ihrem Entstehen hatte Josef Luitpold.
Intellektuelle gewinnen
Vor diesem hier nur ansatzweise skizzierten theoretischen Hintergrund entspann sich auch eine Debatte, ob Intellektuelle in die bestehenden Organisationsformen eingegliedert werden sollten, oder ob die Bildung eigener Organisationen innerhalb der Sozialdemokratie angebracht wäre. Die politischen Möglichkeiten und sozialdemokratische Pragmatik gaben für die zweite Variante den Ausschlag. Was nichts daran änderte, dass die Funktion der Intelligenz und die Form ihrer Organisierung umstritten blieben.
Unumstritten ist, dass zwischen 1920 und 1938 die Österreichische Intelligenz vorwiegend nicht der Linken zuströmte. Wobei vor allem die Rekrutierung der Intelligenz auf Hochschulboden noch immer auf traditionelle Weise vor sich ging und die alten Bildungsschichten ihre für sie wohl erworbenen Rechte und auch Ansichten erfolgreich verteidigten.
Das berechtigte Misstrauen der Sozialdemokratie gegenüber diesen herkömmlichen Bildungseinrichtungen schlug sich auch dahingehend nieder, dass man versuchte, eine eigene Hochschule, eben eine „Arbeiterhochschule“, einzurichten. Sie konnte allerdings nur in vier Jahrgängen durchgeführt werden, von 1926 bis 1930. Sie war als Hochschulbildung für die sozialdemokratischen Führungseliten angelegt. An der „Arbeiterhochschule“ unterrichteten alle führenden Politiker der Sozialdemokratie sowie bedeutende Wissenschafter.
Nach 1945 konnte an Zwischenkriegstraditionen für eine sozialistische Intellektuellenorganisation angeknüpft werden. Schon gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden eine Studenten-, Juristen-, Ingenieure-, Ärzte und Lehrervereinigung. Offensichtlich war man sich auch bewusst, dass die Einbindung der SPÖ beim Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft ein strategisches Umdenken erforderte. Vor allem dann, wenn daran gedacht war, einmal errungene Machtpositionen nicht wieder aufzugeben. Und wenn man wusste, dass dem großen konservativen politischen Gegenspieler die Rekrutierung politisch und praktisch einsetzbarer Intelligenz viel selbstverständlicher war. So zeugte es von politischem Weitblick, all die nun entstandenen Organisationen in einer Dachorganisation sozialistischer Akademiker und Intellektueller zusammenzufassen.
Neuland erschließen
Am 9. Mai 1946 wurde der Verein „Bund sozialistischer Akademiker“ bei der Vereinsbehörde angemeldet. Der Nichtuntersagungsbescheid des Innenministeriums wurde am 29. Mai 1946 ausgestellt. Die konstituierende Sitzung des neuen Vereines fand am 2. Juni 1946 im Festsaal des Alten Rathauses in Wien statt. Über die Ziele des BSA heißt es im Bericht des Proponentenkomitees bei dieser konstituierenden Sitzung: „Es ist ein erster Versuch, dessen Ziele in drei Richtungen liegen. Die sozialistische Partei ist im Begriffe, Staatspartei dieses Landes zu werden. Sie ist nicht länger allein die Partei der Arbeiter und Angestellten, sondern aller anderen Schichten, die sich um diesen Kern gruppieren. Dieses Eindringen in die Schichten der Intellektuellen muss der ‚Bund Sozialistischer Akademiker‘ organisieren. Die Aufgabe ist nicht, ein Diskutierklub zu sein, sondern die Intellektuellen zu gewinnen. Ferner gilt es, Fachleute zu stellen. Was die Zugehörigkeit zum ‚Bund Sozialistischer Akademiker‘ betrifft, kommt es nicht auf den akademischen Grad an, sondern auf die schöpferische Tätigkeit.“
Unter dem Titel ,,Neuland erschließen!“ findet sich in der Arbeiter-Zeitung (AZ) vom 4. Juni 1946 eine knappe Notiz über die „Gründungskonferenz des Bundes sozialistischer Akademiker“: „Sonntag fand im Festsaal des Alten Rathauses die Gründungsversammlung des Bundes sozialistischer Akademiker statt. Seine Aufgabe sieht der Bund darin, alle sozialistischen Akademiker, Intellektuellen und Künstler in Fachsektionen (Sozialistische Ärztevereinigung, Verbandsozialistischer Ingenieure, Vereinigung sozialistischer Juristen, Vereinigung sozialistischer Kulturschaffender, Vereinigung sozialistischer Lehrer, Vereinigung sozialistischer Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschafter, Verband sozialistischer Studenten) zusammenzuschließen und in den Dienst der sozialistischen Bewegung zu stellen.“
Im Herbst 1946 wurde die Landesorganisation des BSA in der Steiermark und in Oberösterreich gegründet. In Oberösterreich war auf eine Neugründung der SOVEGA zugunsten einer BSA-Landesorganisation verzichtet worden. Eine führende Rolle bei dieser Entscheidung hatte Ernst Koref. 1947 folgten Landesorganisationen in Salzburg, Tirol und Vorarlberg, 1948 in Kärnten. Wien, Niederösterreich und Burgenland wurden anfänglich als Einheit verstanden, so dass erst 1950 eine Landesorganisation für Niederösterreich und Burgenland geschaffen wurde. 1969 wurde dann für das Burgenland eine eigene Landesorganisation ins Leben gerufen.
Neuer Name
Ein Jahr nach der Gründung wurde der Anspruch des BSA, die sozialistische Intellektuellenorganisation zu sein, mit einer Namenserweiterung dokumentiert: Bund Sozialistischer Akademiker, Intellektueller und Künstler. Präsident im ersten Jahr seines Bestehens war Alfred Migsch. Er übernahm 1947 das Energieministerium und schied als Präsident aus. Neuer Präsident wurde Theodor Körner. Zum ehrenamtlichen Sekretär wurde Dr. Wilhelm Rosenzweig bestellt, der von 1948 bis 1964 die Geschicke des BSA als Geschäftsführender Obmann an führender Stelle mitbestimmte. Seit 1948 hat der BSA hauptamtliche Bundes- beziehungsweise GeneralsekretärInnen: 1948 bis 1953 Dkfm. Wolfgang Baderle, 1953 bis 1954 Friedrich Karabaczek, 1954 bis 1956 Dipl.-Vw. Walter Matal, 1956 bis 1984 Dr. Franz Skotton, 1984 bis 1996 BRin a.D.Gertrude Perl, 1996 bis 2001 Noemi Haselbach, 2001 bis 2004 Dr. Jürgen Pfeffer, 2004 bis 2009 Mag. Georg Appl, 2009 MMag.a Susanne Preuer, 2009 bis 2010 Dr. Jürgen Pfeffer und seit 2010 Mag.a Olivia Weiss.
Ende Oktober 1948 fand der zweite Bundestag des BSA im Wiener Traditionscafé Landtmann statt, der die Anfangsschwierigkeiten des BSA zeigt. Wilhelm Rosenzweig erstattete im Namen des Vorstandes Bericht über die Tätigkeit des BSA. Er verwies zuerst auf die Aufgaben, die man sich gestellt hatte. Das sei erstens die „Zusammenfassung aller sozialistischen Akademiker, Intellektueller und Künstler“ gewesen. Zweitens das „Eindringen in die Akademikerschaft und die Schaffung eines Gegengewichtes zum CV“ und drittens die „Ausbildung im Rahmen des BSA und des BSA selbst als geistiges Zentrum der Akademiker und Intellektuellen im Rahmen der Partei“. „Während die erste Aufgabe“, wie Rosenzweig betonte, „vollständig gelöst wurde, gelang die Lösung der zweiten und dritten Aufgabe nur teilweise, da hier mannigfaltige Schwierigkeiten entgegenstanden“.
Was Rosenzweig hier in Punkt zwei und drei anklingen ließ, war Kritik an der Personalpolitik der SPÖ, die für den BSA zu wenig tat, um das Übergewicht des CV zu brechen, oder wie es hieß, „das Monopol und die Dünkel des CV“.
Anerkennung
Von den Schwierigkeiten, aber auch vom Respekt zeugt etwa ein Aufruf des Parteivorsitzenden Adolf Schärf in einer Werbe-Sondernummer der BSA-Zeitung „Der sozialistische Akademiker“ vom März 1949 mit der Überschrift „Die Intellektuellen und der Sozialismus“. Seit Bestehen der Sozialistischen Bewegung in Österreich sei das Problem „Sozialismus und Akademiker“ immer wieder zur Diskussion gestellt gewesen. Vor dem ersten Weltkrieg bedeutete der Beitritt zur Sozialdemokratischen Partei für den Akademiker einen Bruch mit den Berufs- und Studienkollegen, die über ihn als Außenseiter in der Regel die berufliche und gesellschaftliche Ächtung verhängten.
Zwischen den beiden Weltkriegen wären Akademiker in größeren Zahlen gekommen, die unter Beweis stellten, dass man auch als Sozialist ein hervorragender Arzt, ein guter Ingenieur und ein gewiegter Jurist sein könne.
Schärfs Werben um neue Mitglieder für den BSA zeigt, dass man gewillt war, der ÖVP die Stirn zu bieten. Bei dieser Auseinandersetzung ging es auch um die ehemaligen Parteimitglieder der NSDAP, in Fortsetzung des Gegensatzes zwischen deutschnational/liberal und christlich-sozial. Alfred Magaziner, langjähriges Vorstandsmitglied bei den BSA-Journalisten, drückte die Einstellung in der damaligen Zeit in einem Interview so aus: „Hätten wir die Leute abgestoßen, was unter Umständen manche gerne getan hätten, dann hätte man all diese zu den Christlichsozialen gejagt – denn die Freiheitliche Partei ist erst viel später entstanden. An sich wäre das die größte Dummheit gewesen, all diese Leute dem Gegner, der ja auch nicht ungefährlich gewesen ist, wie sich gezeigt hat, zu überlassen.“ Wobei nicht vergessen werden darf, dass das Problem der ehemaligen Nationalsozialisten etwa in Wien weniger gravierend war als in den westlichen Bundesländern, wo etwa die technische Intelligenz weitaus mehr vom dritten Österreichischen Lager geprägt war.
Noch einmal zurück zum Werbeaufruf Schärfs. Denn ein Satz bleibt unverständlich. Jener, wo er von einer im Wesentlichen erfolglosen Verfolgung sozialistischer Akademiker durch den braunen Faschismus spricht. Das völlige Ausblenden der Vernichtung eines großen Teils der jüdischen Intelligenz zeigt das Nichtverständnis der Hiergebliebenen beziehungsweise das Setzen politischer Prioritäten, für die uns heute das Verständnis fehlt. 1950 bat Theodor Körner, von seiner Wiederwahl als Präsident des BSA wegen seiner doch immer größer werdenden Arbeitslast Abstand zu nehmen. Seine 1951 erfolgte Wahl zum Bundespräsidenten hätte aber so oder so die Wahl eines neuen BSA-Präsidenten erfordert. Über den Nachfolger von Theodor Körner gab es keine Diskussion. Das war Karl Waldbrunner.
Ära Waldbrunner
Erst Staatssekretär im Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung, im Mai 1946 außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister in Moskau, ab November 1949 Bundesminister für Verkehr und verstaatlichte Betriebe, ab 1956 Bundesminister für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft. Seit 1962 zweiter Präsident des Nationalrates, 1970 Wahl zum Präsidenten des Nationalrates. 1950 bis 1973 Präsident des BSA, so lang und so bestimmend, dass es nicht übertrieben ist, von einer Ära Waldbrunner zu sprechen. Die Bedeutung Waldbrunners für den BSA kann nachträglich nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und sie lag, wie der damalige Bundessekretär Franz Skotton anmerkt, „nicht nur in seiner persönlichen und von allen anerkannten Autorität, sondern auch in den Impulsen, die er auf Grund seiner Interessen der Organisation gegeben hat.“
Der BSA hatte zunächst drei Aufgaben zu erfüllen: Organisatorische Heimstätte der der Idee des demokratischen Sozialismus treu gebliebenen Intellektuellen zu sein, eine Öffnung der sozialistischen Bewegung auch für bisher andersdenkende Intellektuelle herbeizuführen und den Aufbau einer neuen Intellektuellenschicht zur Bewältigung der Aufgaben in Partei, Staat und Wirtschaft einzuleiten.
Seine gesellschaftspolitische Bedeutung und seine Schlagkraft konnte der BSA sehr bald beim Aufbau der verstaatlichten Industrie unter Beweis stellen. Unter Führung von Dipl.-Ing. Karl Waldbrunner haben sozialistische Intellektuelle jene Industriekonzepte entwickelt, deren Realisierung Österreich erstmals in seiner Geschichte in die erste Reihe der Industrienationen brachte. Ohne diese volkswirtschaftliche Großtat am Beginn der Zweiten Republik gäbe es heute keine unabhängige Republik Österreich.
Waldbrunners Interessen waren aber nicht nur jene des Wirtschaftsfachmannes und Technikers, sondern umfassten auch kultur- und bildungspolitische Bereiche. So war es daher kein Wunder, wie Skotton anmerkte, dass „der BSA sehr bald in der Kulturpolitik der sozialistischen Bewegung eine besondere Bedeutung erlangte und mit seinen Initiativen die gesamte Partei beeinflussen konnte. So besonders in der Schul- und Hochschulpolitik und in Fragen der Forschungsförderung.“
Bildungsexpansion
Bereits mit Beginn der Präsidentschaft Waldbrunners veranstaltete der BSA Enqueten über die Hochschulreform und über die finanzielle Dotierung des Kulturbereiches. Stark beachteter öffentlicher Ausdruck dieser Aktivitäten des BSA war im Herbst 1960 eine große Plakataktion „15 Jahre ÖVP-Unterrichtsverwaltung = 15 Jahre Kulturpleite“. Auf diesem Plakat wurden ein Rechtsanspruch auf staatliche Studienförderung für alle Begabten und die Instandsetzung und der Neubau von Schulgebäuden gefordert.
1965 erschienen im Europa Verlag als ein Ergebnis der kulturpolitischen programmatischen Arbeit innerhalb des BSA „Beiträge zur Kulturpolitik“. Zur Intention dieses Buches ist im Vorwort zu lesen: „Mit den ‚Beiträgen‘ sollen das Kulturprogramm, das Kapitel Kultur im Parteiprogramm der SPÖ, ergänzt werden. Einerseits soll damit eine kultursoziologische Analyse erfolgen, die in ein Parteiprogramm nicht aufgenommen werden kann, sowie die Klarstellung der sozialistischen Einstellung zu kulturellen Fragen […] gegeben werden.“
Zur Bildungsexpansion gehörte eine Reform der Hochschulen beziehungsweise der Hochschulorganisation, der Studiengänge, der Studienbeihilfen und der Forschungsförderung. Der BSA arbeitete einen Entwurf für ein Hochschulorganisationsgesetz, ein Studienförderungsgesetz sowie ein Forschungsförderungsgesetz aus, und erhob die Forderung nach einem eigenen Ministerium für Wissenschaft und Forschung, also die Teilung des Unterrichtsministeriums.
Wesentlich an all diesen Bestrebungen des BSA beteiligt war ein Vorstandsmitglied: Hertha Firnberg. Sie war 1926 den Sozialistischen Mittelschülern beigetreten und dann folgerichtig Mitglied des Verbandes Sozialistischer Studenten. Dem BSA war sie 1947 beigetreten. Sie war dann Vorstandsmitglied der Fachgruppe der Wirtschafter seit 1952, sowie deren Obfrau in den Jahren 1970 bis 1984; Mitglied der Frauenarbeitsgemeinschaft war sie ebenfalls seit 1952, deren Vorsitzende von 1964 bis 1983. Diese Hinweise geben aber nur sehr verkürzt die Bedeutung Hertha Firnbergs für den BSA wieder.
Die Aufbruchstimmung der 70er Jahre und der damit verbundene Elan waren unwiderstehlich. Sie wurde vom BSA mitgetragen und in den 60er Jahren vorbereitet. Namen wie Firnberg, Broda oder Leodolter können nur exemplarisch für die vielen BSA-Mitglieder stehen, die mitgeholfen hatten, die österreichische Sozialdemokratie an die Spitze zu bringen. Aber sie taten nicht nur das, sondern setzten jetzt, nach dem Wahlsieg Kreiskys, alle Ideen um, die Österreich vom konservativen Frost befreiten. Wissenschaft und Intellektualität waren jetzt kein Notprogramm mehr, sondern ein lebendiger Teil der geistigen Landschaft Österreichs.
In den siebziger Jahren zeichnete sich ein Generationenwechsel an der Spitze des BSA ab. Am Bundestag des BSA im Mai 1973 war die Ära Waldbrunner offiziell zu Ende. Als neuer Präsident des BSA wurde der SP-Klubobmann im Parlament, Leopold Gratz, gewählt. Die AZ berichtete: „Man werde die Rolle des sozialistischen Akademikers, Intellektuellen und Künstlers in der Gesellschaft und in der Partei neu diskutieren müssen, erklärte SP-Klubobmann Gratz, nachdem er am Sonntag zum neuen Präsidenten des Bundes Sozialistischer Akademiker gewählt worden war. Er erhielt 133 von 137 gültigen Stimmen. Er folgt damit in der Funktion Diplomingenieur Waldbrunner, der 23 Jahre hindurch Präsident des BSA war und auf eigenen Wunsch die Funktion zurücklegte. Waldbrunner wurde zum Ehrenpräsidenten gewählt.“
Aus Anlass des dreißigjährigen Jubiläums des BSA ging Leopold Gratz 1976 auf die geänderte Rolle des BSA ein: „Ich lege besonderen Wert darauf, zunächst festzustellen, was der BSA nicht sein wollte: wir wollen weder das gute Gewissen der Partei sein, noch die intellektuellen Oberlehrer oder der geistige Vormund. Das haben wir uns nie angemaßt. Der BSA war auch nie ein ‚Geheimbund‘ oder eine Postenvermittlungsorganisation, sondern eine Gemeinschaft von sozialistischen Akademikern und Intellektuellen, die ihr Fachwissen der großen Gesinnungsgemeinschaft – der Sozialdemokratie – zur Verfügung stellte. In diesen dreißig Jahren haben sich Staat und Gesellschaft in einem Ausmaß verändert, wie das wahrscheinlich in viel längeren Perioden des vergangenen Jahrhunderts nicht der Fall gewesen ist.
Soziale Verantwortung
Leopold Gratz wurde im Jahr seiner Wahl zum BSA-Präsidenten Bürgermeister von Wien, 1984 Außenminister und 1986 Präsident des Nationalrats. Von 1983 bis 1990 ist Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Harald Ogris geschäftsführender Obmann des BSA.
Die alleinige Übernahme der Regierungsverantwortung durch die SPÖ – diesen großartigen Erfolg – durfte sich auch der BSA auf seine Fahne heften. Von den 1400 Experten Bruno Kreiskys, die dazu aufgerufen waren, Motor jener Modernisierung zu sein, die für Österreich längst überfällig war, kamen 90 Prozent aus dem BSA. Doch wie immer: Nach der Erklimmung des Hochplateaus kommen unausweichlich die Mühen der Ebene. Weniger prosaisch ausgedrückt: Die Anforderungen an den BSA waren gestiegen, bedingt durch die neue Rolle der SPÖ, die nun endlich und verdientermaßen bestimmende politische Kraft in Österreich war.
Dr. Sepp Rieder, der 1990 BSA-Präsident wurde, formulierte die Aufgabe des BSA folgendermaßen: „Es genügt nicht, nur Ideenbörse zu sein, es geht darum, sich für die Verwirklichung dessen zu engagieren, was also richtig erkannt wurde… In diesem Sinne wollen wir nicht nur analysieren, nicht nur nachdenken, sondern auch handeln.“
Der Wille zum aufrechten Gang
Dass diese Aufforderung zur Tat keine Floskel, sondern elementares Programm war, zeigte sich Anfang des neuen Jahrtausends, als der BSA einen ebenso schwierigen wie notwendigen Prozess begann: Die Aufarbeitung seiner Rolle bei der gesellschaftlichen Integration ehemaliger NationalsozialistInnen nach 1945. Im Rahmen von Veranstaltungen und Arbeitsgruppen wurde das Thema bearbeitet und ein Forschungsauftrag an das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes vergeben. Daraus resultierte die 2005 im Czernin Verlag erschienene Publikation „Der Wille zum aufrechten Gang“, in der die Vorkommnisse beleuchtet und offengelegt wurden. Von Sepp Rieder angestoßen, wurde der Prozess von Caspar Einem, der 2002 BSA-Präsident wurde, forciert und gestaltet.
Präsident Caspar Einem organisierte neben der Erstellung des Buches auch noch eine Veranstaltungsreihe zur Aufarbeitung der „braunen Flecken“, im Rahmen derer neben der Buchpräsentation auch der Umgang mit ehemaligen NationalsozialistInnen beleuchtet wurde, insbesondere jener des sozialdemokratischen Österreichs, aber auch international. Neben seinem großen Engagement im Bereich der Vergangenheitsbewältigung lag Caspar Einems Schwerpunkt aber auch auf der Förderung der Jungen im BSA. Er initiierte die „politische Akademie“ des BSA, die einen Einblick in das Arbeiten in politischen Büros geben sollte, aber auch mit der Ausarbeitung politischer Konzepte betraut war. Auch eine Veranstaltungsreihe „Kamingespräche mit Führungskräften“, die sich ebenfalls insbesondere an junge BSA-Mitglieder wandte, rief er ins Leben.
2008 übergab Caspar Einem die Präsidentschaft an die damalige Justizministerin Maria Berger, die erste Frau an der Spitze des BSA. Maria Berger legte ihren Fokus insbesondere auf den Bereich der Europapolitik. Unter ihrer Präsidentschaft organisierte beispielsweise auch die BSA EU-Gruppe gemeinsam mit der Jungen Generation in der SPÖ Europatalks im Rahmen des EU-Wahlkampfs. Mit ihrer Bestellung zur EuGH-Richterin musste sie 2009 die Präsidentschaft abgeben.
Ihr folgte der langjährige Vorsitzende der sozialdemokratischen Juristinnen und Juristen im BSA, Wolf Frühauf, als geschäftsführender Präsident nach. In diese Zeit fällt auch die Gründung der Außenpolitischen Akademie des BSA, die unter der politischen Leitung des letzten sozialdemokratischen Außenministers, Peter Jankowitsch, bis heute ein fixer Bestandteil des Bildungsangebots des BSA ist. Ziel dieser Akademie ist es, mehr Außenpolitik in die Sozialdemokratie und mehr Sozialdemokratie in die Außenpolitik zu bringen und insbesondere junge BSA-Mitglieder auf eine mögliche Karriere im Bereich der Außenpolitik vorzubereiten.
Der BSA heute
Seit 2010 leitet der Wiener Kultur- und Wissenschaftsstadtrat, Andreas Mailath-Pokorny, die Geschicke des BSA. Mailath-Pokorny betonte bei seiner Wahl insbesondere die Rolle des BSA als Netzwerk für Kreative und Kulturschaffende: „Wir müssen die politische Kommunikation neu denken. Der BSA soll als Plattform für kritische und innovative Ideen
und als spannendes Netzwerk Kreativer dienen und als intellektueller Impulsgeber für die SPÖ wieder an Dynamik gewinnen.“
In seiner Präsidentschaft legt er einen Fokus darauf, diese Rolle des BSA als Impulsgeber und Think Tank zu stärken. Zu diesem Zweck wurden Jahresschwerpunkte im BSA geschaffen, wodurch die breite inhaltliche Expertise im BSA wieder verstärkt Eingang in die öffentliche und parteiinterne Diskussion gefunden hat. Insbesondere die Ausarbeitung eines umfassenden Bildungsprogramms, das den gesamten Bildungsbereich abdeckt – von Kindergarten über Schule und Hochschule bis zum lebensbegleitenden Lernen – sei an dieser Stelle erwähnt. Darüber hinaus ist es Ziel des Präsidenten, den BSA wieder als Gesamtverband zu stärken, indem fachgruppenübergreifende Veranstaltungsformate wie die BSA Lectures und BSA Kontrovers ins Leben gerufen wurden, ebenso wie ein zentrales Exkursionsprogramm, die BSA Erkundungen, zur informellen Vernetzung der Mitglieder untereinander.
Aber auch die Kommunikation in und außerhalb des BSA wurde durch einen komplett neuen Außenauftritt samt einheitlichem Corporate Design und neuer Homepage professionalisiert. Bald sollen die Mitglieder auch online die Möglichkeit zum Gedankenaustausch und zur Vernetzung bekommen, indem ein interner Mitgliederbereich und ein Diskussionsforum im Web geschaffen wird, denn die Geschichte des BSA zeigt, dass die Expertise und der Input von Intellektuellen und AkademikerInnen die Sozialdemokratie wesentlich stärken und voranbringen kann.