Der Ursprung des 1. Mai

Der Ursprung dieses internationalen Kampftages der Arbeiter:innenbewegung liegt in den USA. Im Jahr 1888 wurde der 1. Mai von US-amerikanischen Gewerkschaften zum Protest- und Streiktag für den Acht-Stunden-Arbeitstag erklärt. Ein halbes Jahr später wurde diese Idee bei der Gründung der sogenannten Zweiten Internationale in Paris übernommen. Es wurde bestimmt, daraus eine weltweite Machtdemonstration der organisierten Arbeiter:innenschaft zu machen.

Der 8-Stunden-Arbeitstag

Die Idee, den Arbeitstag auf acht Stunden zu reduzieren, wurde erstmals vom walisischen Unternehmer Robert Owen (1771–1858) im Jahr 1817 in London der Öffentlichkeit vorgestellt. Gemeinsam mit dem englischen Industriellen John Fielden (1784-1847) rief er im Jahr 1833 The National Regeneration Society ins Leben, um den Acht-Stunden-Arbeitstag zu propagieren. Fielden war es auch, der die Forderung von „eight hours labour for the present day’s wages“ (= weniger Arbeit bei gleichbleibendem Lohn). Die Zeitformel für einen Arbeitstag, der aus acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf und acht Stunden Freizeit und Erholung bestand, sollte sich zur zentralen Forderung der entstehenden sozialdemokratischen/sozialistischen Arbeiter:innenbewegung entwickeln. Der Acht-Stunden-Arbeitstag wurde erstmals gesetzlich in England 1833 für Kinder zwischen neun und dreizehn Jahren festgelegt. In Melbourne gelang es einer Streikbewegung 1856 den Arbeitstag für Steinmetze mit acht Stunden zu begrenzen. In den USA begannen in den 1860er Jahre schon große Kampagnen für den „Eight-Hours Work-Day“. Für die sich organisierende österreichische sozialdemokratische Arbeiter:innenbewegung stand ab den 1860er Jahren jedoch der Kampf um den „Normalarbeitstag“ im Zentrum. Damit sollte das im Habsburgerstaat geltende liberale Dogma des freien Arbeitsvertrages, also mit Arbeitsverhältnissen gänzlich ohne staatliches Regulativ beseitigt und gesetzliche Bestimmungen eingeführt werden. Im Zentrum der ersten Programme von 1869 (IX. Arbeitertag) und 1874 (Neudörfl) standen neben der geforderten gesetzlichen Regelung vor allem das Verbot der Kinder- und die Einschränkung der Frauenarbeit in den Fabriken und Werkstätten. Die Internationalen Arbeiterassoziation („I. Internationale“), die auf die österreichische Sozialdemokratie maßgeblichen Einfluss hatte, beschloss bereits 1866 auf ihrem Kongress in Basel die Forderung nach einer Arbeitszeit von maximal acht Stunden: „Wir schlagen acht Arbeitsstunden als gesetzliche Schranke des Arbeitstages vor. Diese Beschränkung wird bereits allgemein verlangt von den Arbeitern der Vereinigten Staaten Amerikas, und der Beschluß des Kongresses wird sie zur allgemeinen Forderung der Arbeiterklasse der gesamten Welt erheben.“ Erst Ende der 1870er Jahre rückte in Österreich der Acht-Stunden-Arbeitstag in den Fokus der politischen Agitation der Sozialdemokratie. Im Jahr 1885 kam es in Österreich erstmals zu gesetzlichen Arbeitszeitbestimmungen für den Fabriksbereich in Form des 11-Stunden-Arbeitstages, des Arbeitsverbots für Jugendliche unter 14 Jahren und des Verbots der Nachtarbeit für Frauen und Jugendliche. Im Hainfelder-Parteiprogramm von 1888/89 stand schlussendlich der generelle Achtstundenarbeitstag im Forderungskatalog. Bis zur generellen Einführung sollte es bis zur Gründung der demokratischen Republik 1918 dauern: Am 19. Dezember beschloss die provisorische Nationalversammlung der Republik Deutsch-Österreich das Gesetz „über die Einführung des achtstündigen Arbeitstages in fabrikmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen“. Ab Dezember 1919 galt die Regelung für alle Arbeitnehmer:innen in privaten und öffentlichen Betrieben.

„The Haymarket Massacre“ in Chicago und der 1. Mai

Die American Federation of Organized Trade and Labor Union (AFL) rief 1884 ein Eight-Hour Movement ins Leben. Diese Protest- und Demonstrationsbewegung sollte ihren Höhepunkt am 1. Mai 1886 mit der Einführung („Inauguration“) des Acht-Stunden-Arbeitstages erreichen. Der 1. Mai war in den USA neben dem 1. Oktober traditionell der sogenannte Moving Day, an dem die Arbeitsverträge der unter instabilen Arbeitsverhältnissen lebenden Arbeiter:innenschaft abgeändert werden konnten. Schließlich entwickelte die Kampagne große Mobilisierungskraft. Im ganzen Land streikten rund 340.000 Arbeiter:innen in rund 12.000 Fabriken. Alleine in Chicago, wo es eine gut entwickelte Arbeiter:innenbewegung unter maßgeblicher Beteiligung von deutschen und böhmischen Zuwanderer:innen gab, demonstrierten 80.000 Menschen friedlich. Am 3. Mai kam es bei der Fabrik McCormick Reaper Works zu gewalttätigen Konflikten zwischen Streikbrechenden und Streikenden, die von der Polizei mit scharfer Munition beantwortet wurden. Vier Tote waren die Folge. Am nächsten Tag kam es als Reaktion darauf nochmals zu friedlichen Protesten. Diese kleineren Demonstrationen lösten sich auf dem Chicagoer Haymarket auf Grund des schlechten Wetters schneller als erwartet auf, als 180 Polizisten aufmarschierten, um den Rest der Versammlung zu zerstreuen. Es explodierte eine Bombe in den Reihen der Polizei. Sieben Uniformierte starben und 67 wurden verletzt. Die Polizei eröffnete das Feuer und tötete mehrere Menschen und verwundete rund 200. Den acht vermeintlichen „Rädelsführern“, allesamt Anführer der Streikbewegung, wurde ein umstrittener Prozess gemacht, der mit acht Schuldsprüchen und vier Hinrichtung endete; darunter mehrere deutsche Zuwanderer. Das sogenannte Haymarket Massacre führte zur Aussetzung des an sich erfolgreichen Eight-Hour Movement und zu einer konzentrierten Gegenoffensive der Fabriksherren gegen die Arbeiter:innenbewegung. Tausende, die als „organisiert“ bekannt waren, wurden entlassen. All das wurde von wachsender Fremdenfeindlichkeit begleitet, die sich besonders gegen die Lebensweise und die politische Orientierung der deutschen und böhmischen Zuwanderer:innen richtete.

Ein Jahr nachdem die Anführer der Streikbewegung in Chicago des Jahres 1886 hingerichtet wurden, darunter einige deutschstämmige, wurde beim Konvent des Gewerkschaftsdachverbands der American Federation of Labor 1888 in St. Louis beschlossen, die Bewegung für den Acht-Stunden-Arbeitstag wieder aufzunehmen. Der 1. Mai, diesmal 1890, wurde schließlich in einer Abstimmung wieder zum Höhepunkt der Kampagne auserkoren. Ein halbes Jahr später, im Juli 1889, fand der Gründungskongress der Zweiten Internationale in Paris statt. Dort wurde beschlossen, dass „gleichzeitig in allen Ländern und in allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten (= Behörden) die Forderung richten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen […]“. Der 1. Mai wurde als Aktionstag festgelegt, da er in den USA ja bereits beschlossene Sache war.

Der erste 1. Mai in Österreich

Der österreichische Arbeiter:innenbewegung war es nach langen Fraktionskämpfen und intensiver behördlicher Verfolgung zum Jahreswechsel 1888/89 in Hainfeld gelungen, eine geeinigte Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) zu gründen. Sehr schnell konnten massive Organisations- und Mobilisierungserfolge erzielt werden. Am 12. Juli 1889 erschien die erste „Arbeiterzeitung“ als „Organ der österreichischen Sozialdemokratie“ und flankierte den Aufstieg der Partei medial.

Der 1.-Mai-Beschluss der Internationale wurde von der österreichischen Delegation in Paris, die vom Parteivorsitzenden Victor Adler (1852–1918) geleitet wurde, begeistert unterstützt. Die SDAP entschloss sich, trotz der für sie schwierigen gesetzlichen und behördlichen Situation im Habsburgerstaat, einen allgemeinen Streiktag durchzuführen. Am 29. November 1889 wurde die Parole verkündet: „Der 1. Mai 1890 soll der internationale Arbeiterfeiertag werden. An diesem Tag soll die Arbeit überall ruhen, in Werkstatt und Fabrik, im Bergwerk wie in der dumpfen Kammer des Hauswebers. […] Die Menschheit hat heute kein höheres Interesse, als die proletarische Bewegung, als insbesondere die Abkürzung der Arbeitszeit.“

Das österreichische 1.-Mai-Abzeichen des Jahres 1890
(Quelle: Privatsammlung Rosecker)

Im Vorfeld des ersten 1. Mai entfachten bürgerliche Zeitungen einen Sturm der Entrüstung und Panikmache. Die „Neue Freie Presse“ schrieb: „Die Soldaten sind in Bereitschaft, die Thore der Häuser werden geschlossen, in den Häusern wird Proviant vorbereitet wie vor einer Belagerung, die Geschäfte sind verödet, Frauen und Kinder wagen sich nicht auf die Gasse, auf allen Gemüthern lastet der Druck der schweren Sorge.“ Victor Adler, der den ersten 1. Mai „wegen anarchistischer Bestrebungen“ im Gefängnis verbringen musste, berichtete sogar, dass „im Prater die Drähte, die die Rasenplätze umsäumen, entfernt wurden, damit die Kavalleriepferde bei der eventuellen Attacke nicht stürzen“.

Schließlich ruhte am 1. Mai, im Jahr 1890 ein Donnerstag, in unzähligen Industriestädten und -regionen die Arbeit und es wurde massenhaft und friedlich demonstriert. Der steirische Arbeiterführer Hanns Resel (1861–1928) schrieb darüber: „Dieser Tag war mir, wie Tausenden und Abertausenden, der denkwürdigste im Leben, der denkwürdigste 1. Mai. Man war nicht der Arbeit entflohen, aus Lust die Natur zu genießen; nicht um der Lustbarkeit zu fröhnen [sic!], ruhte die Arbeit. Nein, sie ruhte, um kundzugeben, dass die Lohnsklaven aller Länder und Zungen des gleichen Sinnes sind, die Sklaverei zu brechen, die Freiheit des Wortes zu erringen, als Lohn für die Arbeit ihre Produkte zu genießen, den herrlichen Grundsatz: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zur Wahrheit zu machen“. In Wien fanden vormittags rund sechzig Arbeiter:innenversammlungen statt und am Nachmittag „flanierten“ mehr als 100.000 Arbeiter durch den Prater. Die Kundgebung war dermaßen groß und beeindruckend, dass Friedrich Engels (1820–1895) am 23. Mai 1890 in der Arbeiterzeitung schrieb: „Freund und Feind sind einig darüber, daß auf dem ganzen Festland Österreich, und in Österreich Wien, den Festtag des Proletariats am glänzendsten und würdigsten begangen, und die österreichische, voran die Wiener Arbeiterschaft sich damit eine ganz andere Stellung in der Bewegung erobert hat.“

Seither her überdauerte der Kampftag der Arbeiter:innenbewegung gerade in Österreich und vor allem in Wien Krieg, Faschismus und Nationalsozialismus und wurde neben seiner ungebrochen politischen Bedeutung auch „Brauch und Volksfest“, wie die Südtiroler Volkskundlerin Elsbeth Wallnöfer 2022 schrieb.

Autor: Michael Rosecker, Karl-Renner-Institut

Literatur: Volksstaat, 19.6.1869 // Neue Freie Presse, 1.5.1890 // Arbeiter-Zeitung, 23.5.1890 // Victor Adler: Mein erster Mai, in: Maifestschrift 1909 // Julius Braunthal: Geschichte der Internationale, Bd. 1, Berlin-Bonn 1978 // Ludwig Brügel: Die Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie, Bd. 4, Wien 1923 // Direction of the Convent (Ed.): Report of Proceedings of the Third Annual Convention American Federation of Labor held at St. Louis, Missouri, December 11, 12, 13, 14, 15 1888, New York 1888 // Friederike Hausmann: Die deutschen Anarchisten von Chicago oder warum Amerika den 1. Mai nicht kennt, Berlin 1998 // Robert Owen/Robert Dale Owen (ed.): The Crisis or the Change from Error and Misery, to Truth and Happiness, London 1832 // Protokoll des Ersten Kongresses der Zweiten Internationale in Paris, abgehalten vom 14. bis 20. Juli 1889. Übersetzt auf Deutsch, mit Vorwort von Wilhelm Liebknecht, Würnberg 1890 // Hanns Resel: Verschiedene Erste Mai-Tage, in: Glühlichter, 28.4.1898 // Elsbeth Wallnöfer: Maifeiern: Wahrhaftiges Brauchtum. Die 1.-Mai-Aufmärsche zeugen vom Bedürfnis, sich in der Lebenswelt rituell einzurichten, in: Der Standard, 1.5.2022

Das Titelblatt der 1.Mai-Festschrift der SDAP 1898 (Quelle: Privatsammlung Rosecker)
Das Titelblatt der 1.Mai-Festschrift der SDAP 1898 (Quelle: Privatsammlung Rosecker)