Die Revolutionären Sozialisten Österreichs

Die österreichische Sozialdemokratie in der Illegalität 1934-1938

Nach den Ereignissen des 12. Februar 1934 gelang es der austrofaschistischen Regierung Dollfuß innerhalb weniger Wochen, die Strukturen der Sozialdemokratischen Partei zu zerschlagen, wesentlich schneller als den FaschistInnen Mussolinis in Italien oder dem nationalsozialistischen Deutschland. Das christlichsoziale Regime verhängte drakonische Strafen für sogenannte „oppositionelle Tätigkeiten“, zu denen etwa bereits die Lektüre verbotener Literatur zählte. Mögliche Konsequenzen für derartige gesetzwidrige Aktivitäten waren unter anderem der Verlust von Wohnung oder Arbeitsplatz, die Verhaftung durch die Staatsgewalt, sowie die Internierung in das, verharmlosend als „Anhaltelager“ bezeichnete, Internierungslager Wöllersdorf.

Bereits seit der Zerschlagung der Demokratie 1933 hatten sich aufgrund der staatlichen Zensur erste Vorformen der späteren sozialdemokratischen Untergrundarbeit entwickelt. Dazu zählten etwa die Verbreitung von Flugschriften, oder die Kolportage einer im tschechischen Brünn (Brno) produzierten, illegalen Wochenzeitung. Diese erschien unter wechselnden Namen, wie Der Ruf, Die Wahrheit oder Die Stimme, um den staatlichen Verboten zu entgehen. Verteilt wurden die Publikationen durch sogenannte „Propagandastoßtrupps“, denen vor allem Mitglieder der JungsozialistInnen und junge Parteimitglieder angehörten. Dennoch schaffte es die Sozialdemokratische Partei nicht, sich schon in der Legalität systematisch auf die Illegalität vorzubereiten. Von den organisatorischen und politischen Strukturen der Übergangszeit zur Arbeit im Untergrund erwiesen sich nur die erwähnten Propagandastoßtrupps als lebensfähig.

Nach dem Verbot der Partei und aller ihrer Organisationen waren vor allem die Betriebsräte und Betriebsvertrauensleute wichtige Stützen der illegalen Sozialdemokratie und ein wichtiges Verbindungselement zu breiten Teilen der ArbeiterInnenschaft. Nachdem das Führungspersonal der Partei fast zur Gänze entweder ins Ausland geflohen oder von der Exekutive verhaftet worden war, spielten beim Aufbau der konspirativen sozialdemokratischen Untergrundorganisation die Gewerkschaften und die Jugendorganisationen eine wichtige Rolle, da ihre FunktionärInnen den Behörden durch ihre weniger exponierte Stellung in der Regel unbekannt waren. Eine gewichtige Rolle spielten auch die jungen AbsolventInnen der Arbeiterhochschule, wie etwa der spätere Bürgermeister von Wien und Bundespräsident Franz Jonas, oder die erste Vorsitzende des Bundes Sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus, Rosa Jochmann.

Der ins tschechoslowakische Exil nach Brünn geflüchtete Otto Bauer gründete, gemeinsam mit dem Kommandanten des Republikanischen Schutzbundes Julius Deutsch, das Auslandsbüro der österreichischen Sozialdemokraten (ALÖS), das die illegale Parteitätigkeit aus dem Ausland unterstützte. Es verstand sich als Vertretung der österreichischen Sozialdemokratie im Ausland, nicht jedoch als Parteiführung. Das ALÖS koordinierte Hilfsaktionen für die Familien der im Februar 1934 gefallenen Schutzbundangehörigen, produzierte die illegale, erst wöchentlich, später vierzehntägig erscheinende, „Brünner Arbeiter-Zeitung“ und stand den in Österreich verbliebenen SozialdemokratInnen als theoretische und moralische Stütze zur Seite. Vor allem den internationalen Kontakten, des als Generalsekretär der Sozialistischen Arbeiterinternationale tätigen Friedrich Adler, dem Sohn von Parteigründer Victor Adler, ist es zu verdanken, dass die österreichische Sozialdemokratie auf finanzielle und politische Hilfestellungen von Schwesternorganisationen, etwa aus der Schweiz oder der Tschechoslowakei, zählen konnte. Bauer und „die Brünner“ sahen sich oftmals Anfeindungen, vor allem durch jüngere Mitglieder und SympathisantInnen der illegalen Untergrundorganisation ausgesetzt und wurden für den Untergang der Sozialdemokratischen Partei verantwortlich gemacht. Das Vorgehen der ehemaligen Führungsspitze wurde von verschiedenen Seiten als zu radikal, zu gemäßigt, oder auch als zu zögerlich kritisiert.

Die zentrale Organisationsform der illegalen Partei war die sogenannte „Fünfergruppe“. Diese Zusammenschlüsse zu kleinen Einheiten sollte die Gefahr der Ausforschung durch die Exekutive mindern und basierte vor allem auf gegenseitigem, persönlichem Vertrauen. Die Angehörigen der zentralen Fünfergruppe standen in Kontakt zu Kreisgruppen, diese wiederum mit Bezirksgruppen, bis hin zu den Gruppen in den Häusern und Wohnblocks. Diese zentrale Fünfergruppe bestand wegen der ständigen Gefahr der Verhaftung von Funktionären der „alten Partei“ aus weniger exponierten, jungen SozialdemokratInnen. Diese Gruppe wurde später zum Zentralkomitee der Revolutionären Sozialisten.

Anfang September 1934 fand im Arbeiterheim von Blansko bei Brünn die Wiener Konferenz der illegalen österreichischen Sozialdemokratie statt. Neben einer Prinzipienerklärung und dem Beschluss des neuen, de facto aber bereits vorher weit verbreiteten Parteinamens, „Revolutionäre Sozialisten“ (RS) kam es zur demokratischen Wahl des Zentralkomitees der RS, der einzigen, die in den vier Jahren ihres Bestehens möglich war. Zugleich wurde als Ziel die Wiederherstellung der Demokratie – wenngleich einer sozialistischen Demokratie – durch eine Revolution im austrofaschistischen Ständestaat beschlossen.

Die politische Praxis der RS umfasste neben der Schulung der eigenen Mitglieder, sowie der Kolportage von Flugzetteln und der Arbeiter-Zeitung auch das Abhalten von Demonstrationen und Blitzkundgebungen, bei denen etwa rote Fahnen gehisst und Protest- und ArbeiterInnenlieder gesungen wurden. Eine weitere wichtige Möglichkeit zum kollektiven Protest gegen das austrofaschistische Regime waren Boykottaktionen. So wurde etwa der Wiedereintritt in die gleichgeschalteten, vormals sozialdemokratischen, Sportvereine massenhaft verweigert. Ebenso stieg als Resultat der Boykottmaßnahmen gegen die öffentlichen Verkehrsbetriebe der Gebrauch von Fahrrädern in den Städten zeitweise massiv an, während die Einnahmen der Verkehrsbetriebe merklich sanken.

Nach einer Verhaftungswelle Anfang 1935 bei der, neben zahlreichen anderen SozialdemokratInnen auch der Vorsitzende des Zentralkomitees der RS, Karl Hans Sailer verhaftet wurde, stieg der Kärntner Joseph Buttinger zum neuen Vorsitzenden der Partei auf. Auf sein Bestreben hin wurde die illegale Partei zur streng geschlossenen Kaderorganisation umgeformt, um sich der Aufmerksamkeit der Behörden besser entziehen zu können. Beim sogenannten Sozialistenprozess 1936 wurden 28 Führende Mitglieder der RS des Hochverrats angeklagt, unter ihnen Bruno Kreisky, Franz Jonas, Karl Hans Sailer und Maria Emhart. Für letztere beantragte die Anklage gar die Todesstrafe. Vor allem aufgrund von Interventionen aus dem Ausland fielen die Urteile vergleichsweise milde aus – dennoch kam es zur Verhängung von mehreren mehrmonatigen Haftstrafen.

Bruno Kreisky nach seiner Verhaftung 1935, Polizeifoto (Foto: Stiftung Bruno Kreisky Archiv)

Gegen Ende des Jahres 1937 folgte eine weitere Verhaftungswelle durch die bereits von Nationalsozialisten durchsetzte Wiener Polizei, die beinahe den gesamten Parteiapparat der RS erfasste. Nachdem Bundeskanzler Kurt Schuschnigg am 12. Februar 1938 in Berchtesgaden de facto vor Hitler kapituliert hatte, versuchten die RS ihre Aktivitäten fortzusetzen, mussten sich jedoch dem nach dem „Anschluss“ stärker werdenden NS-Terror beugen und wurden 1938 aufgelöst. Es kam auch zur Denunziation von Parteimitgliedern an die Gestapo durch Spitzel, wie den ehemaligen Redakteur der Arbeiter-Zeitung Hans Pav. Buttinger konnte mit einigen FunktionärInnen nach Brüssel fliehen, wo sie die ALÖS und die RS zur Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten (AVOES) verschmolzen.

Weiterführende Literatur:

Otto Leichter, Zwischen zwei Diktaturen. Österreichs revolutionäre Sozialisten 1934-1938 (Wien, Frankfurt, Zürich 1968)

Peter Pelinka, Erbe und Neubeginn. Die Revolutionären Sozialisten in Österreich 1934 – 1938 (Wien 1981)

Logo der Revolutionären Sozialisten (Foto: Wikimedia Commons)
Logo der Revolutionären Sozialisten (Foto: Wikimedia Commons)