Am 12. Februar 1934 traten sozialdemokratische österreichische Arbeiter – als erste in Europa – dem Faschismus mit der Waffe in der Hand entgegen. Dem voraus gegangen waren die permanenten Rechtsbrüche der Regierung Dollfuß im Jahr 1933, die Ausschaltung des Parlaments und die systematische Zerstörung der Demokratie. Nach dem Ende der Februarkämpfe hatten die Austrofaschisten die Arbeiterbewegung lahmgelegt. Damit verlor Österreich die einzige Kraft, die vier Jahre später Hitler wirklichen Widerstand hätte leisten können.
Eine historische Betrachtung von Manfred Scheuch. In „Österreich Magazin“, Ausgabe 1/2004
Konservative neigen bis heute dazu, von „geteilter Schuld“ zu sprechen, wenn es um die Ereignisse des Februar 1934 geht. Da gleichzeitig der Zerstörer der Demokratie, Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, zum Kämpfer gegen die Nazis hochstilisiert wird und seine für die Republik verhängnisvolle Politik in den Hintergrund gedrängt wird, ist die Klarstellung über den Gang der Ereignisse besonders notwendig.
„Von einer geteilten Schuld kann überhaupt keine Rede sein. Die Partei machte Fehler – aber die anderen haben die Demokratie wissentlich, bewusst und mit kühlem Zynismus beseitigt“, analysierte Bundeskanzler Kreisky 1984 die nicht nur für die Arbeiterbewegung, sondern für ganz Österreich schicksalhaften Februartage. Ihnen vorausgegangen waren die permanenten Rechtsbrüche der Regierung im Jahr 1933, als Dollfuß mit Notverordnungen regierte, den Wiederzusammentritt des Parlaments mit Polizeigewalt verhinderte, als der Republikanische Schutzbund für aufgelöst erklärt wurde, während die faschistische Heimwehr zu einer Hilfspolizei aufgewertet, ihre Führer in die Regierung aufgenommen wurden, als die Sozialdemokratische Partei schikaniert, die Maifeier verboten, die Presse einer Vorzensur unterworfen, „Anhaltelager“ eingerichtet und die Todesstrafe wieder eingeführt wurde. Der Kurs der Regierung ging klar auf die Errichtung eines autoritären Systems, und, wie der geheime Briefwechsel zwischen dem zum Schutzherrn Österreichs erkorenen italienischen Diktator Mussolini und Dollfuß beweist, wurde die Sozialdemokratie als Hauptfeind betrachtet. Wir sind „fest entschlossen, sobald es die Verhältnisse zulassen, den Marxisten ihre Machtpositionen, die sie noch in Händen haben, zu nehmen“, beeilte sich Dollfuß schon am 22. Juli 1933 der Forderung Mussolinis zu folgen, der sozialdemokratischen „Felsenfestung Wien einen Schlag zu versetzen“ und die „Säuberungsaktionen“ auf das ganze Land auszudehnen.
Im Jänner 1934 schickte Mussolini seinen Unterstaatssekretär Suvich nach Wien, der Dollfuß zu energischem Handeln gegen den „Marxismus“ drängte. Die Zermürbungstaktik der Regierung gegen die Sozialdemokratische Partei, zusammen mit der um sich greifenden Massenarbeitslosigkeit, die für viele Arbeiterfamilien den Kampf ums tägliche Brot zur Hauptsorge werden ließ, begann ihre Früchte zu tragen. Es war wohl der schwerste politische Fehler, dass die Parteiführung die Ausschaltung des Parlaments 1933 nicht mit einem von den Eisenbahnern ausgehenden Generalstreik beantwortet hatte; „das Nichtlosschlagen, obwohl man gewusst hat, man wird eines Tages losschlagen müssen“ (Kreisky).
Mussolinis Drängen führte in den ersten Wochen von 1934 zu Durchsuchungen sozialdemokratischer Parteiheime nach Waffen, viele Funktionäre des Schutzbundes, auch dessen Stabschef Adolf Eifler, wurden verhaftet, in einem Geheimerlass wurde die Erfassung aller sozialdemokratischen Vertrauensmänner angeordnet. Es war dies offenkundig ein Vorgehen, mit denen der Innenminister, der Heimwehrführer Emil Fey, ein Losschlagen gegen das Unerträgliche provozieren wollte, um, wie er am 11. Februar in einer Heimwehrversammlung ankündigte, „morgen ganze Arbeit zu leisten.“
ln Linz war dem Schutzbundkommandanten Richard Bernaschek der Erlass über die Vertrauensmännerlisten zur Kenntnis gelangt, und er sah darin zu Recht die Vorbereitung einer großen Verhaftungswelle. Die Oberösterreichischen Schutzbündler beschlossen, sich einer Waffensuche im Parteiheim zu widersetzen. Bernaschek wandte sich an den Parteivorstand in Wien, in einem verschlüsselten Telefongespräch wurde ihm geantwortet: „Ärzte raten abwarten, vorläufig noch nichts unternehmen.“ Das Gespräch wurde abgehört; der Oberösterreichische Sicherheitsdirektor Hammerstein-Equord ordnete daraufhin die sofortige Waffensuche am frühen Morgen des 12. Februar, einem Montag, im Parteiheim „Hotel Schiff“ an – offenbar im vollen Bewusstsein der Folgen und in Kenntnis der Tatsache, dass der Wiener Parteivorstand zögerte, bewaffnetem Widerstand gegen Polizeiaktionen zuzustimmen. Bernaschek hatte nicht mit einem Vorgehen gegen das Parteihaus gerechnet. Als die Polizei anrückte, rief er den Landeshauptmann Schlegel an und ersuchte ihn, die Aktion sofort abzublasen, „sonst geschieht etwas Schreckliches“.
Aber die Polizei schlug die Tür ein, Bernaschek wurde festgenommen, die Schutzbündler zogen sich in einen Gebäudeteil zurück, wo die Waffen lagen, und empfingen die Eindringlinge mit Maschinengewehrfeuer. Auch an anderen Stellen der Stadt Linz, so an der Donaubrücke, flammten Kämpfe auf. Nun wurde überall Militär eingesetzt. Die Widerstandsnester wurden mit Feuer aus Haubitzen belegt. Dienstagabend war Linz in der Hand der Regierung. Auch in anderen Orten griffen die Schutzbündler zu den Waffen. Die Arbeitersiedlung Ennsleiten bei Steyr leistete lange Widerstand. Im Bergarbeiter-Dorf Holzleiten wurde die Heimwehr entwaffnet. Als Militärs das Arbeiterheim besetzte, kam es zu einer scheußlichen Bluttat: Der Bezirkshauptmann ließ die dort verbliebenen fünf unbewaffneten Schutzbundsanitäter an die Wand stellen und erschießen. Standrechtliche Todesurteile wurden an dem Linzer Anton Bulgari und dem Steyrer Josef Ahrer vollstreckt.
In Wien hatte die Regierung offenbar gar nicht mit einem ernsthaften Widerstand der Arbeiterschaft gerechnet. Sie befand sich bei einem Festgottesdienst im Stephansdom, als um 11.47 Uhr in ganz Wien die Lichter erloschen und die Straßenbahnen stehen blieben. In den Elektrizitätswerken wurde so auf Weisung der improvisierten Kampfleitung, die Julius Deutsch und Otto Bauer nach der Nachricht von den Ereignissen in Linz im Favoritner George-Washington-Hof gebildet hatten, das Signal zum Generalstreik gegeben (der aber ausblieb). Daraufhin begannen schwer bewaffnete Polizeipatrouillen, die Parteiheime in den Arbeiterbezirken zu durchsuchen. Um 13 Uhr kam es zu den ersten Kampfhandlungen, als die Polizei in die Wohnhausanlage Sandleiten in Ottakring eindringen wollte. Um 14 Uhr verkündete die Regierung über das Radio die Ausrufung des Standrechts, um diese planmäßigen verbrecherischen Anschläge bolschewikischer Elemente im Keim zu ersticken.“
Um die Innere Stadt wurde ein Sicherheitskordon gezogen, das Rathaus von Militär besetzt, Bürgermeister Karl Seitz in den Arrest abgeführt. In der ganzen Stadt begann eine große Verhaftungswelle. Nun flammten an vielen Orten Kämpfe auf. Sehr bald wurde Militär angefordert, weil Polizei und Heimwehr die Lage nicht in den Griff bekamen.
Gegen das Arbeiterheim in Ottakring wurde erstmals auch Artillerie eingesetzt; in angrenzenden Wohnungen gab es die ersten toten Zivilisten, so auch die Frau des Abgeordneten Sever. In Hietzing wurde der schwer verwundete Schutzbundkommandant Karl Münichreiter beim Rückzug seiner Männer zum Roten Berg gefangen genommen und am nächsten Tag auf der Bahre zum Galgen geschleppt. In Margareten und Meidling, in Simmering und Favoriten kam es zu heftigen Kämpfen. Vier Tage lang dauerte der Kampf um den Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt. Nachdem die Attacken von Polizei und Heimwehr zurückgeschlagen worden waren, rückte Militär an. Der „blaue Bogen“ des Bauwerks wurde mit Artillerie beschossen. Aber der Widerstand hielt an. Erst am Donnerstag, als die Truppen bedeutend verstärkt und erneut Geschütze abgeprotzt wurden, hissten die Verteidiger die weiße Fahne; einer von ihnen, Emil Svoboda, wurde hingerichtet.
Und schließlich das andere Donauufer: „Der ganze Bezirk Floridsdorf glich einer Hölle“, heißt es im Polizeibericht. Besonders heftig war der Kampf um die Hauptfeuerwache. Dort leitete der Kommandant Georg Weissel, zugleich Schutzbundführer, den Widerstand. Am 14. Februar wurde er hingerichtet. Gegen den Schlingerhof wurden Haubitzen, gegen den Goethehof in Kaisermühlen (damals 2. Bezirk) Artillerie eingesetzt; von vielen Wohnungen blieben nur Trümmer. ln Niederösterreich kam es vor allem in Sankt Pölten zu schweren Kämpfen um die Traisenbrücke und um das E-Werk. Zwei Schutzbündler aus Rohrbach an der Gölsen, Johann Hois und Viktor Rauchenberger, wurden hingerichtet.
Ein Zentrum des Widerstandes war neben Graz-Eggenberg die Obersteiermark. Am 12. Februar war die Stadt Bruck an der Mur in der Hand der Aufständischen unter Führung des Nationalratsabgeordneten Koloman Wallisch. Das anrückende Militär konzentrierte sich am nächsten Tag auf die Eroberung des Schlossbergs, er wurde mit Haubitzen und Minenwerfern unter Beschuss genommen. Schließlich mussten die Verteidiger flüchten. In der Stadt kam es zu weiteren Kämpfen, ebenso in Kapfenberg. Von Gendarmerie verfolgt, versuchte eine Gruppe Schutzbündler, über die verschneite Gleinalpe Jugoslawien zu erreichen. Doch Wallisch wurde gefangen genommen; um ihn hinrichten zu können, verlängerte die Regierung die Geltung des Standrechts über das Ende der Kämpfe hinaus.
Am 17. Februar prangte auf der ersten Seite der „Neuen Freien Presse“ die Schlagzeile „Volle Ruhe“. Es war nur die Ruhe vor den Stürmen, die kommen und die Welt in einen Abgrund mit Millionen und Abermillionen Toten stürzen sollten. Die Austrofaschisten hatten Österreich mit der Zerschlagung der Arbeiterbewegung der stärksten Kraft beraubt, die vielleicht imstande gewesen wäre, Hitler Widerstand zu leisten und so ein aufrüttelndes Signal gegen den sogenannten „Anschluss“ an Deutschland zu setzen – wenn Österreich 1938 noch ein freies, demokratisches Land gewesen wäre.
Wo waren die Frauen in all dem? In einem Kooperationsprojekt mit dem Karl-Renner-Institut ist der Historiker Florian Wenninger dieser Frage nachgegangen und hat diese umfassend analysiert.