Karl Seitz

Vorsitzender der SPÖ 1918-1945, Wiener Bürgermeister, Nationalratspräsident

Karl Josef Seitz, geboren am 4. September 1869 in Wien, verstorben am 3. Februar 1950, war nach Victor Adler der zweite Parteivorsitzende der sozialdemokratischen Partei, außerdem Wiener Bürgermeister und Präsident des Österreichischen Nationalrates.

Karl Seitz war das fünfte von sieben Kindern eines Wiener Holzhändlers. Nachdem sein Vater 1875 starb, konnte die Mutter die Familie nicht mehr dauerhaft ernähren, Karl wuchs daher ab dem 12. Lebensjahr in einem Waisenhaus auf. Der liberale Gemeinderat Wilhelm Baecher entdeckte den begabten Schüler und verschaffte diesem einen Freiplatz im Lehrerseminar von St. Pölten. Dort geriet er als Sprecher des Absolventenjahrgangs 1888 in erste Schwierigkeiten mit der Schulbehörde, nachdem er die Idee des Abgeordneten der Christlichsozialen, Prinz Alois Liechtenstein, kritisierte, welcher die Schulzeit von acht auf sechs Jahre verkürzen und den Lehrstoff der Volksschulen auf Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion beschränken wollte.

Den Lehrer-Job begann Seitz in Ottakring. Er musste die bittere Armut der dortigen Arbeiterjugend täglich mitansehen und kam mehrfach mit der Schulbehörde in Konflikt. 1896 gründete er den „Zentralverein der Wiener Lehrerschaft“, trat der radikaldemokratischen Lehrervereinigung „Die Jungen“ bei und beteiligte sich an der Erarbeitung des ersten sozialdemokratischen Bildungsprogramms.

1901 kandidierte Seitz für die SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei), er schaffte als erster sozialdemokratischer Abgeordneter den Einzug in das Abgeordnetenhaus des Reichsrates als sogenannter „5-Gulden-Mann“.

1900 heiratete Seitz die Lehrerin Emilie Heindl. Er engagierte sich immer stärker in der SDAP und zog 1902 als einziger Vertreter der Sozialdemokratie in den niederösterreichischen Landtag ein.

1907 stieg Seitz zum Fraktionsführer der Sozialdemokraten im Reichsrat auf, gleichzeitig wurde er zum wichtigsten Mitarbeiter des Parteivorsitzenden Victor Adler.

Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch der Donaumonarchie – Seitz hatte sich schon ab 1915 öffentlich gegen das Völkermorden ausgesprochen – wurde der Sozialdemokrat einer der drei Präsidenten der sogenannten „Provisorischen Nationalversammlung“ und von 1919 – 1920 Erster Präsident der Konstituierenden Nationalversammlung. In dieser Funktion war er gleichzeitig Präsident der Republik Österreich. Am 12. November 1918 hatte Seitz auf der Parlamentsrampe die Ausrufung der Republik Österreich verkündet.

Von 1920 an war Seitz bis zu seiner Verhaftung durch die Austrofaschisten 1934 Mitglied des Nationalrates.

Karl Marx Hof, Wien (Foto: Dreizung/Wikimedia Commons)

Der Aufbau des Roten Wiens

1923 löste Karl Seitz Jakob Reumann als Wiener Bürgermeister ab und begann mit dem berühmten sozialen Modernisierungsprojekt für die österreichische Hauptstadt, später „Rotes Wien“ genannt.

Die Sozialdemokratie konnte sich auf absolute Mehrheiten bei Wahlen stützen und führte ein weltweit beispielhaftes kommunales Programm zur Hebung der Lebensumstände der Arbeiterschaft durch. Zur Seite standen Seitz dabei vor allem Hugo Breitner, der Stadtrat für Finanzwesen, der Sozialreformer Julius Tandler und der Präsident des Wiener Stadtschulrates Otto Glöckel, der sich in Sachen Bildung und Schulreform schon zu jener Zeit für die Gesamtschule stark machte.

Am 12. Februar 1934 ließen die Austrofaschisten Karl Seitz verhaften, für die Anklage wegen „Hochverrats“ gab es allerdings keine Beweise. Aus Protest gegen das autoritäre Regime führte Seitz nun bis nach 1938 öffentliche „Spaziergänge“ gemeinsam mit der Wiener Bevölkerung durch. 1944 wurde Seitz wegen des Verdachts der Mitarbeit in der Widerstandsbewegung des Hitler-Attentäters Graf von Stauffenberg inhaftiert und danach im Alter von 75 Jahren im KZ Ravensbrück interniert.

Schwer krank und von der Inhaftierung im Lager geschwächt, konnte er nach Kriegsende nach Österreich zurückkehren, hatte kurz den Parteivorsitz inne und vertrat die Sozialdemokratie als Abgeordneter im Parlament.

Nachdem seine Frau 1943 verstorben war, ehelichte Seitz 1945 Emma Seidl.

Karl Seitz starb am 3. Februar 1950 als Ehrenvorsitzender der SPÖ.


Tondokument:
Karl Seitz – Wahlrede für die Nationalratswahl vom 9. November 1930 (Österreichische Mediathek)

Karl Seitz, um 1925 (Foto: ÖNB)