Die Rehabilitierung der Opfer des Austrofaschismus war kein leiches Unterfangen. Über Hintergründe und die Wichtigkeit schreibt Florian Wenninger.
Das Parlament hat einstimmig die Rehabilitierung der Opfer des Austrofaschismus beschlossen. Das Gesetz hat etliche Schwachstellen, trotzdem ist es wichtig. Keineswegs nur für die SPÖ.
Am 19. Februar 1934 streckten die letzten Schutzbündler ihre Waffen. Der christlichsoziale „Staatsstreich auf Raten” war nach zwei Jahren erfolgreich abgeschlossen. Weite Teile der sozialdemokratischen Gefolgschaft hatte die Regierung im Vorfeld der Kämpfe so systematisch wie erfolgreich demoralisiert. Immer neue Verbote, Drangsalierungen und Demütigungen hatten die einst so stolze sozialdemokratische Partei bei Freund und Feind am Ende aussehen lassen wie einen Stier, der sich widerstandslos am Nasenring durch die Arena zerren ließ. Der Februar 1934 sah denn auch keine kämpfende Bewegung. Er sah mehrere tausend Menschen und ihren von vornherein aussichtslosen Widerstand gegen einen Putsch, der schon längst geglückt war.
Die wahren Ausmaße der Repression – bis heute unbekannt
Schätzungen zufolge waren auf Seite des Schutzbundes im gesamten Bundesgebiet etwa 20.000 Menschen in die Kämpfe involviert, die Regierungsallianz aus Bundesheer, Exekutive und Heimwehr setzte etwa die doppelte Zahl von Männern ein. Wie viele Menschenleben die Kämpfe kosteten ist bis heute nicht restlos geklärt. Sicher ist, dass die Zahl der Toten in die Hunderte, die Zahl der Verletzten in die Tausende geht.
Unmittelbar nach Ausbruch der Kämpfe wurde das Standrecht verhängt und die wieder eingeführte Todesstrafe gegen die Aufständischen in Stellung gebracht. Die Regierung machte von vornherein kein Geheimnis daraus, durch einige rasch vollzogene Hinrichtungen die Moral der Aufständischen brechen zu wollen. Bereits vor Beginn der ersten Verfahren sah sich das Justizministerium deshalb genötigt festzustellen, dass die anstehenden Hinrichtungen jedenfalls durch den Strang und nicht – im Rahmen einer eigens zu erlassenden Notverordnung – durch Erschießung zu vollstrecken seien. Dies, weil ansonsten „die Gefahr bestünde, dass das Standgericht die Notverordnung anfechten und dann die Todesstrafe überhaupt nicht vollzogen werden könnte.” Zusatz: „Wegen Beistellung der erforderlichen Scharfrichter sind die notwendigen Verfügungen bereits getroffen worden.”
Zum Tod verurteilt wurden in weiterer Folge buchstäblich die Erstbesten, unabhängig davon, ob sie wie der Hietzinger Schuhmacher Karl Münichreiter schwer verletzt waren, oder ob ihnen ihre „Geständnisse” unter Folter abgepresst worden waren. Der Terror wurde notdürftig rechtstaatlich bemäntelt, dass es sich aber um Justizmorde handelte, konnte niemandem ernsthaft verborgen bleiben. In den Worten des Staatssekretärs Karwinsky ging es der Regierung einzig darum, einige „unbedingt notwendige Exempel zu statuieren”.
Die Ausmaße der bereits vor den Februarkämpfen einsetzenden Repressionswelle liegen bis heute im Dunklen. Fest steht, dass bis zur Aufhebung des Standrechtes am 21. Februar 140 Urteile ergingen, davon einige dutzend Todesurteile, von denen neun vollstreckt wurden. Noch während die Kampfhandlungen andauerten kam es in mehreren Fällen zu Übergriffen auf Gefangene bis hin zum Mord. Das Niedermetzeln von Gefangenen ist konkret für Floridsdorf, für das oberösterreichische Kohlerevier und für Bruck an der Mur dokumentiert. Bis Mitte März 1934 wurden alleine in Wien 7.823 Personen verhaftet, von denen in weiterer Folge knapp zweitausend Menschen den Gerichten übergeben wurden. Insgesamt etwa zehntausend Personen wurden in Lagern und Notarresten interniert. Bis ins Jahr 1936 fanden mehrere groß inszenierte Schauprozesse statt. Von den dort Angeklagten sollten gleich mehrere das politische Leben der Zweiten Republik nachhaltig prägen: Franz Jonas, Otto Probst, Maria Emhart, Anton Proksch und schließlich der Jüngste: Bruno Kreisky.
Die Verfolgung von Oppositionellen hatte über Prozesse und Verhaftungen hinaus viele Gesichter: Ihnen wurde die Staatsbürgerschaft entzogen, Pensionen und Arbeitslosengelder gekürzt oder ganz gestrichen, sie wurden entlassen oder strafversetzt, ihnen wurden mutwillig Bußgelder auferlegt, ihre Vereine wurden aufgelöst oder übernommen und das Vermögen dabei konfisziert, Oppositionelle wurden aus Wohnungen gewiesen, ihre Bewegungsfreiheit wurde eingeschränkt … die Liste ließe sich fortsetzen. Auch sie muss aber mit dem Hinweis enden, dass der wissenschaftliche Forschungsstand bis heute unzureichend ist.
Weshalb rehabilitieren?
Im Februar 2010 wandten sich 97 Wissenschafterinnen und Wissenschafter in einem offenen Brief an Parlament und Bundesregierung und forderten neben einer Rehabilitierung auch die öffentliche Würdigung der Februarkämpfer von 1934.
Zwei Jahre zäher Verhandlungen später lässt sich konstatieren: Das nunmehr beschlossene Rehabilitierungsgesetz geht weiter als alles bisher Dagewesene. Aber es ist keineswegs zu verwechseln mit einer generellen Rehabilitierung. Wirkliche Neubewertungen einer historischen Epoche sehen anders aus. Eine ganze Reihe von Verfolgungsmaßnahmen blieb auf Betreiben der ÖVP ausgeklammert, namentlich alle Verwaltungsstrafen abseits der Lagerhaft, etwa Ausbürgerungen oder Geldstrafen. Für die im Gesetz berücksichtigten Internierungen gilt eine Mindesthaftdauer, die der für die Rehabilitierung zuständige Strafrichter lediglich unberücksichtigt lassen kann. Zudem hat der Gesetzgeber den Kreis derjenigen, die um amtliche Feststellung der Rehabilitierung ansuchen können, bewusst so klein wie möglich gehalten, antragsberechtigt sind ausschließlich Nachkommen in gerader Linie. Last not least enthalten die Ausführungsbestimmungen eine Passage, die eine Generalhandhabe bietet, Kommunistinnen und Kommunisten von der Rehabilitierung auszunehmen.
Wir haben es demnach mit dem Versuch einer historiografischen Frontbegradigung zu tun: den Hingerichteten und Eingekerkerten wird ihr – ohnehin offenkundiger – Opferstatus nach siebzig Jahren zugestanden. Gleichzeitig wird peinlich jeder Hinweis auf die Verantwortlichen und das durch sie geschaffene Herrschaftssystem vermieden. In diesem Fall hätte man ja einräumen müssen, dass die eigene Ahnengalerie anno dazumal als Täter fungiert hatte. Und das hätte womöglich eine Reihe unangenehmer Nachfragen provoziert.
Entweder nämlich war alles mit dem Regime 1933-38 in Ordnung, so auch die Niederschlagung des Schutzbundaufstandes. Oder die Februarkämpfer wurden zu Unrecht verurteilt. Wenn den Rebellen durch die Standgerichte Unrecht geschah, waren konsequent weitergedacht ihre Taten nicht verurteilenswert – und der Aufstand gegen den Staatsstreich des amtierenden Bundeskanzlers Dollfuß rechtens. Im Umkehrschluss ist aber Dollfuß schwerlich weiterhin als verdienter Kanzler zu preisen. Schließlich wäre der Mann für die schlimmstmögliche Form des Amtsmissbrauches verantwortlich gewesen: Konspiration mit ausländischen Kräften gegen die in Geltung befindliche Verfassungsordnung unter bewusster Inkaufnahme eines Bürgerkrieges.
Das zuzugestehen hieße keineswegs, neuen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. In der historischen Forschung herrscht zumindest darüber seit mehr als dreißig Jahren Einigkeit. Die ÖVP hat sich seither nur einfach geweigert, den wissenschaftlichen state of art zur Kenntnis zu nehmen. Und genau hier versuchen nun einzelne ihrer Exponenten anzusetzen: Auch ihnen ist bewusst, dass das bürgerliche Lager auf kurz oder lang nicht an den eindeutigen Ergebnissen der Wissenschaft vorbei kommen wird. Sie sind daher bestrebt, die Folgewirkungen für die eigene Traditionspflege so gering als möglich halten. Man hofft, durch die Anerkennung des geschehenen Unrechtes der Diskussion über die Verantwortlichen und ihre Motive den Wind aus den Segeln zu nehmen. Immerhin stünde das Ansehen der gesamten Gründergeneration der ÖVP auf dem Spiel: Von Leopold Figl bis Julius Raab, von Alfons Gorbach bis Josef Klaus waren alle Bundeskanzler bis 1970 hohe Funktionäre des Austrofaschismus gewesen, auf Landesebene sah es nach 1945 nicht besser aus. Die wenigen Christlichsozialen, die sich wie Ernst Karl Winter der Errichtung des Austrofaschismus entschieden widersetzt hatten, wurden in der Zweiten Republik ausgebootet, wann immer sich eine Gelegenheit fand.
Die geschichtspolitische Perspektive
Geht das: die Schutzbündler rehabilitieren und dabei Dollfuß mit seinem Regime in Ehren halten? Langfristig kaum. Die Rehabilitierung ist der Anfang vom Ende der geschichtspolitischen Schizophrenie der letzten sechzig Jahre. Dabei geht es am Allerwenigsten darum, wer am Ende Recht gehabt hat. Die SPÖ, aber auch die Grünen, die entscheidend zu diesem Gesetz beigetragen haben, wären schlecht beraten, nur befriedigt zur Kenntnis zu nehmen, dass die ÖVP spät aber doch einen selbstverständlichen Schritt gemacht hat. Die Initiatorinnen und Initiatoren des Gesetzes sollten auch nicht den Fehler machen, ein Zugeständnis mit einer Einsicht zu verwechseln. Letztere ist vorerst bestenfalls in Ansätzen vorhanden, das haben die seitens der ÖVP vertretenen Standpunkte während der Verhandlungen nur allzu klar gemacht.
Die Befassung mit dem Austrofaschismus ist noch lange nicht vorbei, im Gegenteil: Sie steht in vielen Bereichen erst am Anfang. Auf wissenschaftlicher Ebene reichen die Mankos von einer Erforschung der Repression über zahlreiche Aspekte des Regimes bis hin zu einer Befassung mit seinen Nachwirkungen.
Gesellschaftlich geht es um den Kern des politischen Selbstverständnisses aller Beteiligten. Weshalb war die Republik 1918 überhaupt nur auf Druck der Linken ausgerufen worden? Weil sie als einzige ideologisch tatsächlich dem Prinzip der Egalität verpflichtet war, während eine Mitsprachemöglichkeit für alle in krassem Widerspruch zum hierarchischen Gesellschaftsverständnis der Bürgerlichen stand. Das österreichische Bürgertum stand anders als in anderen Staaten in einer durch und durch autoritären Tradition. In ihrer skeptischen Haltung gegenüber der Demokratie waren sich die Führungsgruppen des deutschnationalen und katholischen Milieus einig, von den Parteieliten über die Industriellenvereinigung und diversen Bankiers bis hin zum Episkopat. Weshalb sonst ging die Regierung Dollfuss, als die Beseitigung der Demokratie längst beschlossene Sache war, ungeachtet des anhaltenden NS-Terrors vor allem gegen die Linke vor? Weil die Nazis für die christlichsozialen Eliten irrende, aber letztlich paktfähige Seelenverwandte waren. Die Sozialdemokratie hingegen war der Feind des Abendlandes.
Die Frage nach demokratischen Traditionen sind nicht traditionspflegerischer, sondern grundsätzlicher Natur. Sie berühren elementare Fragen der Gegenwart: Wie weit darf und soll Demokratie gehen? Wie weit dürfen persönliche Rechte und Freiheiten zum vermeintlichen oder tatsächlichen Wohl des Staatsganzen eingeschränkt werden? Und: ab wann ist Widerstand legitim?
Der britische Historiker E. P. Thompson hat einmal geschrieben, die Geschichte kenne, bei allem abgenützten Pathos des Begriffs, Menschen und Taten von Würde und von Ehre. Eine wichtige Aufgabe der Geschichtswissenschaft bestünde darin, solche Geschichten zu dokumentieren und weiter zu geben. Künftige Generationen könnten dann aus einem Fundus menschlicher Verhaltensmöglichkeiten schöpfen, der ihnen Orientierung für ihr eigenes Handeln geben könne – und Hoffnung.
Die Männer und Frauen des Februar 1934 fanden den Gedanken an ihre Entrechtung offenkundig so unerträglich, dass sie sich in einem Akt der Verzweiflung bewaffnet zur Wehr setzten. Es konnte dabei von vornherein nur um ein Zeichen gehen, um den Respekt vor sich selbst.
Der Schutzbundaufstand ist zweifellos eine Geschichte tiefer Erschütterung, maßloser Enttäuschung, unbändiger Wut. Aber er ist mehr als das. Er gehört zu einer langen Kette kleiner und großer Rebellionen in der österreichischen Geschichte, die im öffentlichen Bewusstsein kaum vorhanden sind. Diese Akte des Aufbegehrens strafen alle Versuche Lügen, das verbreitete Duckmäusertum mit dem Fehlen einer widerständigen Tradition in unserem Land zu erklären und damit zu „vernatürlichen”.
Die Rehabilitierung der Opfer des Austrofaschismus ist ein Schritt in Richtung Anerkennung und Vergegenwärtigung einer solchen, sehr wohl existenten widerständigen Tradition. Unterschätzen wir nicht ihren Wert.
Václav Havel hat gesagt, Hoffnung sei „nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.” So betrachtet war der Februar 1934 nicht nur voll von Wut und Angst. Es war auch eine große Hoffnung, die mit all den Menschen hinter den verrammelten Fenstern der Gemeindebauten die Panzer kommen sah.
Florian Wenninger, Assistent am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien
Dieser Artikel erschien auch in der Zukunft 2/2012