Die erste Pandemie und das Krisenmanagement
Im Jänner 2020 wurde erstmals in der Geschichte der 2. Republik eine Regierung mit grüner Beteiligung gebildet. Die neue türkis-grüne Bundesregierung war von Beginn an stark gefordert. Schon rund um den Zeitpunkt der Regierungsbildung machten Gerüchte die Runde, dass ein hochansteckender Virus kursierte. Krisenmanagement war gefordert, zugleich rächten sich Einsparungen der Kurz-Strache-Regierung, wie die Zerschlagung der Sozialversicherungen oder die Auflösung von Expert:innengremien, die das Vorgehen in solchen Ausnahmefällen koordinieren.
Wie Kontrast.at berichtete, trat unverhohlen parteipolitisches Kalkül zutage: Die letzte Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit war Pamela Rendi-Wagner. Ihre mögliche Rückkehr sollte auf alle Fälle verhindert werden. Am 15. März wandte sich schließlich der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz an die österreichische Bevölkerung und verkündete mit sehr verheißungsvollen, teils religiös anmutenden Bildern, dass Österreich auf einen Notbetrieb heruntergefahren werden müsse („bald werde jeder jemanden kennen, der an Corona verstorben ist“, „bis zu 100.000 Tote“).
Im März 2020 trat der erste Lockdown in Kraft und dauerte mehrere Wochen. Fast täglich traten Kanzler, Vizekanzler, Gesundheitsminister und Innenminister auf und sprachen zur aktuellen Lage. Im Eiltempo wurden Gesetzespakete beschlossen, die auch die SPÖ in Opposition im Sinne eines gemeinsamen und solidarischen Vorgehens mittrug.
Im Verlauf der Pandemie löste sich der politische Schulterschluss auf, weil an der Sinnhaftigkeit und Redlichkeit einschneidender Maßnahmen gezweifelt wurde, präventive Regelungen nicht zeitgerecht gesetzt wurden und Gemeinden in ihrer Eigeninitiative gefragt waren (Stichwort Luftfilter in Schulklassen). Die Regierungskommunikation schwankte zwischen Dramatisierung und Verharmlosung. Beschlüsse, wie die Bundesgärten in Wien schließen zu lassen oder am 1. Mai 2020 die Covid19-Regelungen zurückzunehmen, sorgten für Irritationen. Als Parteivorsitzende und Expertin in Fragen der öffentlichen Gesundheit war Pamela Rendi-Wagner mit ihrer Expertise zum Thema sehr gefragt. Es folgten mehrere Lockdowns, bevor im Februar 2022 das Impfpflichtgesetz in Kraft trat – eine Impfpflicht gab es nie, das Gesetz wurde im März ausgesetzt und später aufgehoben.
SPÖ fordert „Neue Solidarität für Österreich“
In der SPÖ stellte sich Pamela Rendi-Wagner im Frühjahr 2020 einer Vertrauensfrage zusammen mit einer Reihe anderer Fragen zu Schwerpunktthemen der SPÖ. Auslöser waren regelmäßige kritische, medienöffentliche Äußerungen führender SPÖ-Politiker. Das Ergebnis der SPÖ-Mitgliederbefragung 2020 wurde am 6. Mai veröffentlicht: bei einer Beteiligung von 41,3 % der Mitglieder (65.231 Personen) erhielt Rendi-Wagner 71,4 % Zustimmung. Sie blieb Parteichefin und präsentierte ein politisches Konzept „Neue Solidarität für Österreich“, mit Schwerpunkten auf Gesundheit und Pflege sowie Investitionen in Beschäftigung und Steuergerechtigkeit. Im darauffolgenden Herbst wurde das Thema Staatshilfen und Förderungen für Unternehmen brisanter – hier forderte Rendi-Wagner, dass es Förderungen nur in Verbindung mit einer Arbeitsplatzgarantie geben könne.
Untersuchungsausschüsse sorgen für Wirbel
Im Juni 2020 startete der bereits im Jänner eingesetzte, inzwischen wegen diverser Chat-Protokolle legendäre Ibiza-Untersuchungsausschuss: von der Vorsitzführung bis zur Aktenvorlage wurden neue Wege beschritten, die nach außen ein verheerendes Bild abgaben. Selbst der Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl hielt in seinem Abschlussbericht Ende Juli 2021 fest, dass sich nicht alles mit „einem einfachen Freundschaftsdienst“ erklären lasse.
Am 9. Oktober folgte schließlich der Knalleffekt: Sebastian Kurz gab seinen Rücktritt als Bundeskanzler bekannt („zur Seite treten“), wenig später, am 2. Dezember, folgte der Rückzug aus allen politischen Ämtern. Es folgte der ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss, der sich mit einer Inseraten-Affäre und Postenbesetzungen wie Spitzenpostenbesetzung in der Polizei durch die ÖVP oder bei der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG) beschäftigte.
Aufschlussreich waren dabei Chat-Nachrichten, die über Hausdurchsuchungen entdeckt worden waren („Vergiss nicht – du hackelst im ÖVP Kabinett!! Du bist die Hure für die Reichen!”, „Ich liebe meinen Kanzler“, „Sonst exportieren wir den VfGH nach Kuba“, „Rote bleiben Gsindl!“). Im März 2022 wurde die damalige ÖVP-Familienministerin, Sophie Karmasin verhaftet und später verurteilt. Folgen der Affäre waren auch die Rücktritte von langjährigen, prägenden Chefredakteuren wie dem Presse-Herausgeber Rainer Nowak oder des ORF2-Chefredakteurs Matthias Schrom.
Forderungen nach Preisdeckel nach Rekordhöhe von Energiepreisen
Mit dem Kurz-Rückzug zogen sich eine Reihe weiterer Minister:innen zurück, was Neuwahl-Forderungen befeuerte. Innerhalb von 52 Tagen hatte Österreich drei Bundeskanzler, wobei zwei sich keiner Wahl gestellt hatten. Ähnlich abwechslungsreich war auch die Besetzung der Ministerien: nahezu die Hälfte der Bundesregierungsmitglieder stiegen erst in der laufenden Legislaturperiode ein. Gleichzeitig war mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine und der darauf folgenden kriegerischen Auseinandersetzung die Europäische Gemeinschaft gefordert. Energiepreise stiegen ins unermessliche, eine Rekordhöhe bei der Inflation hätte eine solide und rasche Regierungspolitik notwendig gemacht. Die SPÖ stellte Forderungen nach einem Gaspreisdeckel, das Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel oder eine Reform des Energiemarktes.
Eine kompetitive Vorsitzwahl mit Stolpersteinen
Im März 2023 begann in der SPÖ eine Diskussion um den Parteivorsitz, der in eine Mitgliederbefragung und einen außerordentlichen SPÖ-Bundesparteitag mündete. An der Mitgliederbefragung 2023 nahmen 106.952 Mitglieder teil: Hans Peter Doskozil erhielt 33,68 Prozent, Andreas Babler 31,51 Prozent und Pamela Rendi-Wagner 31,35 Prozent der Stimmen.
Am Samstag, dem 3. Juni 2023 stellten sich auf dem außerordentlichen Parteitag in Linz der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler einer Stichwahl, aus der zunächst scheinbar Hans Peter Doskozil als Sieger hervorging. Eine fehlende Stimme im Gesamtergebnis führte zu einer Neuauszählung der Stimmen. Drei Tage später, am 6. Juni 2023, gab die Wahlkommission das nachgezählte Ergebnis bekannt: von 602 abgegebenen Stimmen entfielen 317 Stimmen auf Andreas Babler (52,66 Prozent) und 280 Stimmen auf Hans Peter Doskozil (46,51 Prozent), 5 Stimmen waren ungültig.
Andreas Babler war damit der neugewählte SPÖ-Bundesparteivorsitzende und stellte im Rahmen einer Comeback-Tour durch die Bezirke Forderungen nach einer verkürzten Arbeitszeit, nach gerechten Vermögens- und Erbschaftssteuern, einen Anspruch auf ein funktionierendes öffentliches Pflegesystem, auf leistbaren Wohnraum und einer Sicherung für Kinder in den Vordergrund. Die Mitgliederbefragung brachte Bewegung in die Mitgliederzahlen – selten waren so viele Neueintritte in so kurzer Zeit zu erfassen. Laut Berichten traten allein im Vorfeld der Befragung über 9.000 neue Mitglieder in die SPÖ ein – stimmberechtigt bei der Mitgliederbefragung 2023 waren insgesamt rund 147.000 Mitglieder.