Aus Protest gegen das „Schandurteil von Schattendorf“ wurde am 15. Juli 1927 der Wiener Justizpalast in Brand gesteckt
Der Prozess gegen die drei Mitglieder der rechtsradikalen Frontkämpfervereinigung, die am 30. Jänner 1927 im Burgenländischen Schattendorf einen Kriegsinvaliden und ein Kind ermordet hatten, fand unter großem Medieninteresse vom 5. bis zum 14. Juli im Landesgericht Wien statt und endete mit einem Freispruch für alle drei Angeklagten. Das Urteil führte zu einem Sturm der Entrüstung, auch unter dem Gesichtspunkt, dass bereits zuvor Morde an Arbeiter:innen milde oder gar nicht bestraft wurden. Am nächsten Tag kam es ab den frühen Morgenstunden zu Streiks und spontanen Demonstrationen von Arbeiter:innen in der Wiener Innenstadt. Für die sozialdemokratische Parteiführung kamen die Ereignisse unerwartet, weshalb keine Vorkehrungen für einen geordneten Ablauf der Proteste getroffen wurden. Die aufgebrachte Menge stürmte den Justizpalast, der als Symbol der Klassenjustiz angesehen wurde und setzte Akten in Brand. Das Feuer breitete sich über alle Stockwerke aus. Nachdem die Menge der Feuerwehr den Zugang zum Justizpalast verweigerte, gab der Wiener Polizeipräsident und frühere Bundeskanzler Johann Schober den Befehl, auf die Demonstrant:innen zu schießen. Das blutige Ergebnis dieses schicksalhaften Tages waren laut Polizeiangaben mindestens 94 Tote und über 1600 Verletzte. Aus Protest gegen die Polizeigewalt kam es zu einem eintägigen Generalstreik.
Die Ereignisse des 15. Juli 1927 gelten als Anfang vom Ende der Ersten Republik. Das Selbstbewusstsein der Arbeiter:innen war erschüttert und für die kommenden Jahre war es das oberste Ziel der sozialdemokratischen Führung, einen Bürger:innenkrieg um jeden Preis zu verhindern.
Video Justizpalastbrand: https://youtu.be/zfm9ttTitiQ
Weiterführende Literatur:
Heinz Fischer, Gedenktafel in Wien (Enthüllung im Rahmen eines Symposiums 2007)
Wolfgang Maderthaner, Der Tag des Feuers. Der 15. Juli 1927 in Wien (Wien 2007)
Norbert Leser/Paul Sailer-Wlasits, Als die Republik brannte. Von Schattendorf bis Wien (Wien 2001)