Schulpolitik in der Ersten Republik

Nach der Ausrufung der Republik am 12. November 1918 musste der gesamte Staat umgebaut werden, schließlich war seine Struktur ganz auf das Funktionieren des Kaiserreichs ausgerichtet und konnte demokratische Ansprüche nicht erfüllen. So auch das vollkommen veraltete Schulsystem. Dieser Aufgabe widmete sich Otto Glöckel, zuerst als Unterstaatssekretär für Unterricht (entspricht dem/der heutigen BildungsministerIn), später als Präsident des Wiener Stadtschulrats.

In seiner Funktion als Regierungsmitglied setzte er jahrelange Forderungen der ArbeiterInnenbewegung durch. Im Bereich der Universitäten sorgte er etwa für einen leichteren Zugang für Frauen und schuf den Grundstock für Frühformen der universitären Demokratie. Die Erweiterung der Demokratie auf das Bildungssystem war generell ein großes Anliegen:

„In der Sorge um die Jugend, in der Erkenntnis, dass die Demokratie sich erst dann voll entfalten kann, wenn das Volk eine möglichst demokratische Ausbildung genossen hat, ging die Gemeinde planmäßig und wohlüberlegt vor.“

Auch Klassen- und SchulsprecherInnen wurden erstmals eingeführt, sowie der verpflichtende Religionsunterricht und Schulgebete abgeschafft. Gerade letzteres führte dazu, dass Glöckel zu einem der größten Feinbilder bürgerlicher Kräfte wurde.

In der christlichsozialen Reichspost vom 12. April 1919 liest sich das so:

„Ferner ist zu befürchten, daß [sic!] doch viele Eltern ihre Kinder aus Fanatismus vergewaltigen und vom Schulgottesdienste abhalten werden; daraus droht für viele arme Kinder ein Verlust der reichen Güter, die eine religiöse Erziehung dem Kinderherzen bietet […]“

Um nicht vom konservativen Beamtenapparat behindert zu werden umging Glöckel diesen ganz einfach, indem er eine eigene Reformabteilung schuf, die weitgehend abseits der Bürokratie arbeiten konnte. Dennoch war sich Glöckel dessen bewusst, dass eine echte Schulreform nur mit Unterstützung von LehrerInnen funktionieren kann. Diese für die Reformen zu gewinnen war besonders wichtig, schließlich mussten sie auch von ihnen umgesetzt werden.

1922 wurde Glöckel, der selbst ausgebildeter Lehrer war, Präsident des Wiener Stadtschulrats. Als solcher war er für die Wiener Schulreform verantwortlich. Neben der, schon oben beschriebenen, Demokratisierung wurden vor allem zwei weitere Begriffe wichtig: Einheits- und Arbeitsschule.

Der Begriff der Einheitsschule wurde für die gemeinsame Schule der 10 bis 14 jährigen verwendet. Die gemeinsame Schule sollte die vorherrschenden Klassengegensätze reduzieren und auch ArbeiterInnenkindern den Zugang zu hochwertiger Bildung ermöglichen. Diese Pläne wurden schließlich durch einen Kompromiss auf Bundesebene auf Eis gelegt. Durch Verhandlungen mit der Regierung konnte 1927 ein Angleichen der Unterrichtsinhalte von Hauptschulen und Gymnasien erreicht werden. Die Forderung nach einer gemeinsamen Schule ist aber bis heute aktuell geblieben, regelmäßig bestätigen aktuelle Studien die Notwendigkeit nach einer Schule ohne soziale Selektion.

Auch die innere Struktur des Unterrichts wurde reformiert. Von klassischem Frontalunterricht sollte auf moderne pädagogische Ansätze umgestellt werden, die so genannte Arbeitsschule. Für den Unterricht standen dabei neue Prinzipien im Vordergrund: Kinder sollten zum gemeinschaftlichen, kritischen Denken angeregt werden und durch eigene Erfahrungen („learning by doing“) lernen und nicht einfach den ihnen vorgebeteten Unterrichtsstoff replizieren. Auch in diesem Bereich gibt es bis heute zum Teil hohen Nachholbedarf.