Hans Kelsen

Hans Kelsen war einer der bedeutendsten Rechtsgelehrten des 20. Jahrhunderts und Mitgestalter der österreichischen Bundesverfassung, die bis heute großteils in Kraft ist.

Er wurde 1881 in Prag als Sohn einer gutbürgerlichen Familie geboren. Bald darauf zog die Familie nach Wien, wo er das Akademische Gymnasium besuchte. An der Universität Wien studierte er bis 1906 Rechtswissenschaften und habilitierte sich abschließend in Staatsrecht und Rechtsphilosophie. 1917 wurde Kelsen schließlich außerordentlicher Professor an der Universität Wien, 1919 dann Ordinarius. Während des ersten Weltkrieges arbeitete Kelsen, der als wehruntauglich eingestuft worden war, als Berater des letzten k.u.k.-Kriegsministers Rudolf Stöger-Steiner. Er befasste sich in dieser Zeit auch in mehreren Aufsätzen und Abhandlungen mit einer möglichen bloßen Personalunion von Österreich und Ungarn.

Als Ende Oktober 1918 die Republik Deutschösterreich ausgerufen wurde, fungierte Kelsen als Berater des Staatskanzlers Karl Renner, welcher ihn im Frühjahr 1919 schließlich damit beauftragte, eine Verfassung zu entwerfen. Das so entstandene Bundesverfassungsgesetz (B-VG) wurde bis 1929 ausgearbeitet und überarbeitet und ist in dieser Fassung – der abgesehen von einigen Änderungen etwa durch den EU-Beitritt – bis heute gültig.

Ab 1919 wurde Kelsen als unabhängiger Experte Mitglied des Verfassungsgerichtshofes, was ihm, gemeinsam mit seiner ideologischen Nähe zur SPÖ, viel Kritik von der konservativen Regierung einbrachte. So hat der Verfassungsgerichtshof während Kelsens Amtszeit etwa die Klage des Bundes gegen den Bau des Wiener Krematoriums abgelehnt oder auch in der Frage der Dispensehen (staatliche Wiederverheiratung nach einer Trennung), sehr zum Missfallen der Christlichsozialen und der katholischen Kirche einen, Einspruch der Bundesregierung ablehnten. Als der Verfassungsgerichtshof umgestaltet wurde, endete Kelsens „ex lege“-Amt, VerfassungsrichterInnen konnten danach nur noch über Parteien gewählt werden, was Kelsen jedoch ablehnte, da er die Idee, dass RichterInnen von Parteien vorgeschlagen werden, nicht guthieß.

Hans Kelsen gilt als Begründer der Reinen Rechtslehre, die er im Rahmen der Wiener Rechtstheoretischen Schule, zu deren wichtigsten Vertretern er zu zählen ist, entwickelte. Diese geht von einem rein formalen Standpunkt aus, ihr Erkenntnisgegenstand ist ausschließlich auf das „positive“, also das von Menschen gesetzte, Recht beschränkt. Grundaussage ist, dass sich die Geltung einer Norm immer nur auf eine andere Norm stützen kann, niemals aber auf eine bloße menschliche Handlung oder anders gesagt: „Ein Sollen kann immer nur durch ein anderes Sollen, niemals durch ein Sein begründet werden. Dadurch, dass etwas ist, kann noch nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, dass es auch sein soll.“ Um die Geltung der Rechtsordnung zu rechtfertigen, geht seine Theorie von einer obersten Norm, der sogenannten Grundnorm, aus. Diese ist keine positive, also von Menschen gemachte Norm, sondern vielmehr eine transzendentallogische Voraussetzung, eine erkenntnistheoretische Hypothese. Den Staat setzt Kelsen in seiner Theorie mit der Rechtsordnung gleich.

Kelsen ging 1930 nach Köln, um dort auf Einladung von Oberbürgermeister Konrad Adenauer als Professor für Völkerrecht zu lehren. Er beschäftigte sich verstärkt mit dem Verhältnis von Recht und Moral und verfasste mehrere Abhandlungen zu diesem Thema. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 wurde er aufgrund seiner jüdischen Abstammung seines Amtes enthoben, er flüchtete nach Genf, wo er eine Professur für Völkerrecht antrat. Diesen Posten bekleidete er bis 1940. Er wurde an die Prager Universität als Ordinarius für Völkerrecht berufen und nahm die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft an. In Prag sah er sich mit massivem Protest deutschnationaler Studenten konfrontiert und beendete seine Tätigkeit nach nur drei Semestern.

1940 emigrierte Kelsen in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo er zunächst in Harvard unterrichtete, später aber nach Berkeley wechselte, wo er ab 1945 eine Professur für Politikwissenschaft innehatte, die er bis 1957 bekleidete.

Am 19. April 1973 starb Kelsen infolge eines Herzstillstandes.

Zitate Kelsens:

„Es gibt überhaupt keine politische Richtung, deren man die Reine Rechtslehre noch nicht verdächtigt hätte. Aber das gerade beweist besser, als sie es selbst könnte, ihre Reinheit.“

„ … Darum kann jeder beliebige Inhalt Recht sein.“

„Demokratie ist diejenige Staatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Gegner wehrt. Es scheint ihr tragisches Schicksal zu sein, dass sie auch ihren ärgsten Feind an ihrer eigenen Brust nähren muss.“

Hans Kelsen (Foto: ÖNB)
Hans Kelsen (Foto: ÖNB)