„Nichts ist schwerer, als die Frau eines berühmten Mannes zu sein“
Wir schreiben das Jahr 1887, als in der kleinen Ortschaft Nussdorf am Attersee das Altarbild für die dort befindliche Kirche der Gemeinde übergeben wird. Es stellt, in der Tradition der christlichen Ikonographie, Maria mit ihrem Sohn im Arme dar. Bei der feierlichen Enthüllung des Gemäldes geht jedoch ein seltsames Raunen und Gemurmel durch die anwesende bäuerliche Bevölkerung, die empört feststellt: „Des is ja d‘Adlerin und nit an Eichtel die Mutter Gottes!“ Der akademische Maler Emanuel Oberhauser hat Emma Adler, die mit ihrem Gemahl Victor und ihren Kindern oft ihre Sommermonate in Parschallen am Attersee verbrachte, als Modell für das Marienbild gewählt. Die Kirche sollte Jahre später durch einen Blitzschlag zerstört werden – das Altarbild hingegen, so berichtet uns Emma Adler in ihren Memoiren, blieb erhalten und ist, „Ironie des Zufalls, zu einem wundertätigen Gnadenbilde avanciert.“
Die auf dem Bildnis Dargestellte ist Jüdin, Sozialistin, Intellektuelle. Eine Frau, die nicht nur aufgrund ihrer viel zitierten Schönheit einen Maler zu inspirieren wusste, sondern, ihrer politischen und kulturellen Tätigkeit ebenso wie ihrer Repräsentationsfunktionen wegen, untrennbar mit der Wiener Moderne verbunden ist. Der Schriftsteller Hermann Bahr etwa spricht von drei Frauen, deren Freundschaft er außergewöhnlich schätzt: „Cosima Wagner, Eleonore Duse und Emma Adler.“
Sowohl Cosima Wagner als auch Eleonore Duse sind in unserem historischen Gedächtnis fest verankert – wer aber war Emma Adler? In der Frauengeschichtsschreibung und in der Aufarbeitung von historischen Frauenbiographien wird auf sie kaum oder nur sehr wenig Bezug genommen. Außer kurzen Lebensläufen oder stichwortartigen Lebensdaten ist in der Literatur wenig zu finden. Emma Adler kommt, wie so viele Frauen, fast ausschließlich als Randfigur in den Erzählungen der „großen Männer“ vor, die ihr Leben begleiteten, prägten oder, wie sie es ausdrücken würde, streiften. Die historische Größe ihres Mannes Victor und ihres Sohnes Friedrich scheinen die Bedeutung der Biographie Emma Adlers in den Schatten gestellt zu haben. Am 20. Mai 1858 wird Emma als Tochter von Ida und dem
Eisenbahn-Unternehmer Ignaz Braun in Debreczin/Ungarn geboren.
Sie wächst als einziges Mädchen unter fünf Brüdern in einem, laut eigenen Beschreibungen, streng „alttestamentarisch“ geführten Familienhaushalt auf. Sie bekommt Privatunterricht und eine umfassende Ausbildung
in Sprachen wie Englisch, Französisch, Italienisch sowie Musik und Literatur. Gleichzeitig mit den groß einsetzenden Migrationsströmen übersiedelt die Familie in den 1870er Jahren nach Wien, wo sie zunächst in der Leopoldstadt – eine der ersten Anlaufstellen jüdischer Zuwanderer – und später, gesellschaftlich aufgestiegen und
gut situiert, am Schwarzenbergplatz Quartier beziehen. Die jungen Brauns führten zu dieser Zeit eine Art Salon, wo sich an Samstagen regelmäßig Studienkollegen und Freunde trafen. Heinrich Braun, Emmas ältester Bruder, der sich schon früh mit dem Sozialismus beschäftigt, macht sie an einem dieser Abende mit Victor Adler bekannt – damals noch frisch promovierter Mediziner und später der legendäre Begründer der österreichischen Sozialdemokratie.
Nach einer nur kurzen Verlobungszeit heiratet die zwanzigjährige Emma Braun den um sechs Jahre älteren Victor Adler. Dieser Ehe entstammen drei Kinder: Friedrich Wolfgang, Marie und Karl Adler. Emma Adler versteht sich als eine politische, in der Öffentlichkeit tätige und wirksame Frau, ein politisches Amt oder ein Parlamentsmandat hat sie allerdings, im Gegensatz zu ihrer Schülerin und engen Vertrauten Adelheid Popp, niemals angestrebt. Sie hält
sich parteipolitisch im Hintergrund und definiert sich selbst als „Gefühlssozialistin“, kämpft jedoch an der Seite Victor Adlers für die gemeinsamen politischen wie sozialen Utopien. „Victor und ich waren voll Enthusiasmus, wir
fühlten uns als neue Menschen berufen für eine bessere Zukunft Aller zu kämpfen. (…) Das Leben schien uns endlos. Unsere Kräfte unerschöpflich und unser Glaube war unerschütterlich. Die Gegner waren uns erwünscht, wir wollten
uns gern mit ihnen messen!“ Vor diesem Hintergrund ist Emma Adler eine der ersten, die Fragen der Frauengleichstellung thematisiert. Sie arbeitet für die „Gleichheit“ und später für die „Arbeiter-Zeitung“ als Übersetzerin und Journalistin, redigiert die Jugendbeilage der „Arbeiterinnen-Zeitung“ und gibt Lesebücher mit
dem Titel „Für die Jugend“ heraus. Sie unterrichtet im Arbeiterbildungsverein Gumpendorf Englisch und Französisch und übersetzt sozialkritische Literatur wie „Germinie Lacerteux“ der Brüder Concourt aus dem Französischen und
Turgenews „Gnadenbrot“ aus dem Russischen, der sechsten Sprache, die sie sich später aneignet. Weiters verfasst sie unter dem Pseudonym Marion Lorm die deutsche Erstübersetzung von „Les Liaisons dangereuses“ („Gefährliche Liebschaften“ von Choderlos de Laclos), als eine Pionierarbeit der Frauengeschichtsschreibung „Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789-1795“ sowie die Biographie von Jane Welsh Carlyle.
Nach dem Tod Victor Adlers am 11. November 1918 verfällt Emma Adler in eine schwere psychische Krise, die in einem Selbstmordversuch kulminiert – jahrelange ärztliche Betreuung und Sanatoriumsaufenthalte sind die Folge. 1925 holt sie ihr erstgeborener Sohn Friedrich in die Schweiz, wo sie an ihren bis heute unveröffentlichten Lebenserinnerungen zu arbeiten beginnt. Am 23. Februar 1935 stirbt Emma Adler im Alter von siebenundsiebzig Jahren in Zürich.