Die Theorie der Sozialen Demokratie - Thomas Meyer
Konkurrierende politische Legitimationsmodelle
In der globalen Arena unserer Zeit und in der Mehrzahl der Länder sind es vor allem drei große politische Strömungen, die auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlichen Akteurskonstellationen um intellektuellen und politischen Einfluss ringen: die libertäre Demokratie, die soziale Demokratie und der politisch-religiöse Fundamentalismus. Die libertäre Demokratie beruht auf dem Glauben, dass bürgerliche und politische Grundrechte, verbunden mit allgemeinen freien Wahlen, Eigentums- und Vertragsfreiheit sowie einer freien Marktwirtschaft den unüberschreitbaren historischen Höhepunkt demokratischer Entwicklung markieren. In der globalen Arena entspricht diese Auffassung einem Plädoyer für die negative Globalisierung, bei der die Dominanz der offenen Märkte über die demokratische Selbstbestimmung der Gesellschaften als ein Fortschritt zu Freiheit und Vernunft erscheint. Die libertäre Globalisierung spielt dem Fundamentalismus in die Hände und versucht dann wieder, aus seinem Erstarken Rechtfertigungsgründe für ihre eigenen Ansprüche zu gewinnen. Die eigentliche Alternative zu beiden ist die Soziale Demokratie. Natürlich wurden Elemente sozialer Demokratie in vielen Handlungsbereichen und in manchen Ländern realisiert, ohne dass eine konsistente Theorie die Akteure leitete und die gesellschaftliche Unterstützung für die Praxis organisierte. In manchen Ländern jedoch, vor allem Schweden, wo soziale Demokratie zum konsensuellen Programm einer ganzen Gesellschaft wurde, hat die theoretische Aufklärung über Gründe, Wege und Ziele eines solchen Projekts, wie die Forschungsliteratur zeigt, immer eine bedeutende Rolle gespielt.
Die Theorie der Sozialen Demokratie beschreibt und erklärt die gesellschaftlichen Bedingungen der Legitimität moderner Demokratie, die sich aus universellen Grundrechten ableitet, und deren Bedeutung für die soziale und politische Inklusion ihrer Bürger sowie demokratische Effektivität und Stabilität (2). Sie stützt sich daher notwendigerweise gleichermaßen auf normativ begründende wie auf empirisch erklärende Elemente. Es gehört zu den immer erneut bestätigten Standardergebnissen der vergleichenden empirischen Demokratieforschung, dass zentrale Elemente einer Sozialen
Demokratie zu den Faktoren zählen, die die Funktionsfähigkeit und Stabilität von Demokratien in signifikantem Maße wahrscheinlicher machen, weil sie im Gegensatz zu den libertär verfassten Demokratien zu einem hohem Maß an sozialer und politischer Inklusion führen3. Und es sind die Institutionen und Handlungsprogramme der Sozialen Demokratie, die im Gegensatz zu denen ihrer libertären Alternative, die soziale und politische Inklusion der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten können. Ohne ein soziales Fundament, das politische Gleichheit und Handlungsfähigkeit unabhängig macht vom sozialen Status, ohne reale Teilhabechancen am gesellschaftlichen Leben für alle Bürgerinnen und Bürger und ohne ein von allen geteiltes Verständnis fairer und gerechter sozialer Ordnung bleibt Demokratie ein Torso, weil sie viele Bürger von der gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben ausschließt. Soziale und politische Exklusion stellen nicht nur die Legitimation der betroffenen Gesellschaften in Frage, sondern auch die nachhaltige Akzeptanz der Demokratie. Darüber ist sich der größere Teil der Demokratieforschung einig. Soziale Demokratie ist in erster Linie eine politische Verfassung der garantierten sozialen Inklusion ihrer Bürgerinnen und Bürger.