In der Regierung der jungen Republik kann die Sozialdemokratie erstmals Teile ihrer Forderungen verwirklichen. In nur wenigen Monaten tut sie mehr für die arbeitenden Menschen als alle Regierungen vor ihr. Vor allem das "Rote Wien" wird zum international beachteten Vorzeigemodell sozialdemokratischer Sozial-, Bildungs- und Wohnpolitik. Innenpolitisch verhärten sich aber die Fronten. Nach Justizpalastbrand und Korneuburger Eid, der die Heimwehr auf autoritär-faschistische Ziele einschwört, setzen der Bürgerkrieg 1934 und der austrofaschistische Ständestaat der jungen Demokratie und der legalen Arbeit der sozialdemokratischen Partei ein Ende.
Ausrufung der Republik, 12.11.1918
Die Sozialdemokratie stellt nach den ersten freien Wahlen sofort die stärkste Kraft im Parlament.
Republikdenkmal in Wien
Die drei Sozialdemokraten Jakob Reumann, Viktor Adler und Ferdinand Hanusch.
Aus Protest gegen das „Schandurteil von Schattendorf“ wurde am 15. Juli 1927 der Wiener Justizpalast in Brand gesteckt
Der Prozess gegen die drei Mitglieder der rechtsradikalen Frontkämpfervereinigung, die am 30. Jänner 1927 im Burgenländischen Schattendorf einen Kriegsinvaliden und ein Kind ermordet hatten, fand unter großem Medieninteresse vom 5. bis zum 14. Juli im Landesgericht Wien statt und endete mit einem Freispruch für alle drei Angeklagten. Das Urteil führte zu einem Sturm der Entrüstung, auch unter dem Gesichtspunkt, dass bereits zuvor Morde an ArbeiterInnen milde oder gar nicht bestraft wurden. Am nächsten Tag kam es ab den frühen Morgenstunden zu Streiks und spontanen Demonstrationen von ArbeiterInnen in der Wiener Innenstadt. Für die sozialdemokratische Parteiführung kamen die Ereignisse unerwartet, weshalb keine Vorkehrungen für einen geordneten Ablauf der Proteste getroffen wurden. Die aufgebrachte Menge stürmte den Justizpalast, der als Symbol der Klassenjustiz angesehen wurde und setzte Akten in Brand. Das Feuer breitete sich über alle Stockwerke aus. Nachdem die Menge der Feuerwehr den Zugang zum Justizpalast verweigerte, gab der Wiener Polizeipräsident und frühere Bundeskanzler Johann Schober den Befehl, auf die DemonstrantInnen zu schießen. Das blutige Ergebnis dieses schicksalhaften Tages waren laut Polizeiangaben mindestens 94 Tote und über 1600 Verletzte. Aus Protest gegen die Polizeigewalt kam es zu einem eintägigen Generalstreik.
Die Ereignisse des 15. Juli 1927 gelten als Anfang vom Ende der Ersten Republik. Das Selbstbewusstsein der ArbeiterInnen war erschüttert und für die kommenden Jahre war es das oberste Ziel der sozialdemokratischen Führung, einen Bürgerkrieg um jeden Preis zu verhindern. Das wiederholte Zurückweichen vor der politischen und physischen Aggression der Christlichsozialen Partei und der Heimwehren („Salamitaktik“) war letzten Endes Mitschuld an der Niederlage der Sozialdemokratie am 12. Februar 1934. Ebenso demonstrierten die Ereignisse die Loyalität von Exekutive und Justiz gegenüber der Regierung, speziell wenn es darum ging, gegen die ArbeiterInnenklasse vorzugehen.